Wenn der Roboter zur Hilfe eilt
Lernende Systeme beim Rettungseinsatz in menschenfeindlichen Umgebungen
Großbrände, Chemieunfälle, Erdbeben: Bei Rettungseinsätzen und im Katastrophenschutz werden schon heute mobile Roboter und andere technische Systeme in Umgebungen eingesetzt, die für den Menschen lebensfeindlich sind. Die wenigsten der meist ferngesteuerten Systeme verfügen jedoch über die kognitiven Fähigkeiten, um den Herausforderungen, der Komplexität, und den Unvorhersehbarkeiten in menschenfeindlichen Umgebungen allein begegnen zu können. Zukünftig sollen technische Systeme jedoch in der Lage sein, gestellte Aufgaben effizient selbstständig zu bearbeiten.
Solche Systeme können sich dann an veränderte Situationen anpassen, ohne dafür umprogrammiert werden zu müssen, und sich diese Änderungen sowie erfolgreiche Anpassungen auch merken. Diese sogenannten Lernenden Systeme (LS) können den Menschen dadurch in Gefahrensituationen noch besser unterstützen: Sie übernehmen gefährliche Aufgaben, erhöhen die Sicherheit der Einsatzkräfte und schließen menschliche Fähigkeitslücken, in denen heute noch keine angemessene Reaktion möglich ist.
Herausforderungen
Damit das Potenzial von LS in lebensfeindlichen Umgebungen voll ausgeschöpft werden kann, sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen technische Herausforderungen wie die Gewährleistung von Langzeitautonomie oder der Schutz gegen Missbrauch.
Nicht-technische Herausforderungen – vor allem rechtlicher und ethischer Natur – sind nicht weniger komplex. Fragen zu Verantwortung, Haftung und Versicherung stellen sich, wenn durch die Systeme Schäden entstehen. Privacy- und Datenschutzprobleme können entstehen, wenn Lernende Systeme beispielsweise Daten von verletzten Menschen erfassen und weitergeben. Selbstständig entscheidende Systeme können außerdem bei Rettungseinsätzen in Dilemma-Situationen kommen, zum Beispiel, wenn nur eine Person versorgt werden kann, obwohl mehrere Menschen Hilfe benötigen. Für den Umgang mit solchen Situationen muss ein formaler Rahmen gefunden werden, der technische, rechtliche und ethische Überlegungen einbezieht.
Erkundung der Lage
Mehrere Lernende Systeme – so genannte Unmanned Aerial Vehicle (UAV) erstellen in der Luft als Gruppe autonom detaillierte Luftbilder der Großliegenschaft und vermessen das Schadstoffvorkommen sowie Luftströme. Ziel ist es, eine mögliche Verbreitung von Gefahrstoffen zu erkennen, das Schadensgebiet einzugrenzen sowie potenziell gefährdete Bereiche der Umgebung zu bestimmen.
Die UAVs kommunizieren und kooperieren untereinander sowie mit anderen Systemen (zum Beispiel Bodenroboter, so genannte Unmanned Ground Vehicles UGV), um kritische Bereiche schnell und detailliert zu erkunden. Sie übertragen die Informationen an die Einsatzleitung, der sie als Grundlage für eine umfassende Lagebewertung dienen.
Einsatz der Rettungskräfte
Die Rettungskräfte arbeiten in Teams mit verschiedenen Robotern. Diese gewährleisten die Kommunikation und Logistik und versorgen alle Beteiligten mit aktuellen Lageinformationen. Diverse UGVs und UAVs erkunden den Weg für weitere Rettungskräfte, analysieren die Gefahrenlage (z.B. die Einsturzgefahr oder Undichtigkeiten von Objekten) und überwachen den körperlichen Zustand von Rettungskräften und Opfern. Sie können in die Erste Hilfe oder zum Abtransport in die Rettungsmaßnahmen integriert werden. Menschen können, zum Beispiel durch immersive Technologien, ihre Erfahrung und Flexibilität in der jeweiligen Situation einbringen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen.
Kommunizieren und Kooperieren
Für einen effektiven Rettungseinsatz ist eine schnelle und intuitive Interaktion zwischen Menschen und Lernenden Systemen notwendig. Dies erfordert zum einen eine adäquate Verständigung zwischen Menschen und Robotern – über Sprache, Gesten und Biosignale wie Blickrichtung oder Hautwiderstand. Zum anderen müssen robotische Systeme mit den Fachleuten in einer Leitstelle kommunizieren.
Lernende Systeme kooperieren auf unterschiedliche Weise mit dem Menschen – um größere Kräfte anzubringen, falls ein System eine Aufgabe allein nicht erfüllen kann, um spezielle Fähigkeiten beziehungsweise Werkzeuge zu benutzen (etwa Röntgenbilder erstellen oder Verletztentransports organi-sieren), vor allem aber zu dem Zweck, Rettungskräfte abzusichern und zu unterstützen. Lernende Systeme analysieren ständig ihren Eigenzustand und übertragen Diagnoseinformation an ihre Zentrale. Bei Bedarf fordern sie spezialisierte Hilfs- und Wartungsroboter oder menschliche Rettungskräfte und Wartungspersonal bei der Einsatzleitung an.
Lernen für die Zukunft
Die von den autonomen Systemen gesammelten Informationen und erlernten Fähigkeiten werden unter Wahrung des Datenschutzes in entsprechende Datenbanken zur Weiterverwertung übertragen. Dabei wird nach effizienten Verhaltensmustern in neuen Situationen gesucht – insbesondere, wenn eine Interaktion mit einem Menschen notwendig war. Auf Basis von eigener und fremder Erfahrung werden so durch Lernverfahren die Fähigkeiten der Systeme optimiert. Menschen steuern diesen Prozess. Die Unterstützung der Rettungskräfte verbessert sich auf diese Weise mit jedem Einsatz.
Ausblick
Ob bei der Erkundung von schwer zugänglichem Terrain, bei Rettungseinsätzen oder im Katastrophenschutz – Lernende Systeme können den Menschen bei Arbeiten in gefährlichen Umgebungen wirksam unterstützen und schützen. Unbestreitbar ist aber: Der Mensch als Einsatzkraft und Entscheider wird dabei auch zukünftig – vor allem bei Einsätzen zur Rettung von menschlichem Leben – unersetzbar sein.
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Beyerer, Dr.-Ing. Igor Tchouchenkov,
Fraunhofer Institut IOSB
Bericht der Arbeitsgruppe Lebensfeindliche Umgebungen
sowie ein Anwendungsszenario bei einer Explosion und einem Brand in einer Chemiefabrik siehe unter:
www.plattform-lernende-systeme.de/ag-7.html