Historische Bauten in die Zukunft führen
Bilanz ist unübertreffbar / Bestandsschützende Stadtentwicklung bündelt viele Vorteile
An Denkmalen scheiden sich häufig die Geister: Sie sind schön, vermitteln Identität und Geschichte, sie sind wichtig für den Tourismus und das örtliche Handwerk – sagen die einen. Sie sind altbacken und heruntergekommen, Requisiten aus längst überwundenen Zeiten, behindern die Entwicklung und den Fortschritt, sind energetische Katastrophen – sagen die anderen. Beide Seiten werden passende Beispiele finden.
Oftmals unberücksichtigt bleibt in der Debatte, dass historische Bauten einen enormen wirtschaftlichen Wert darstellen. Er geht weit über den Grundstückswert hinaus – der allein schon bei vielen historischen Gebäuden in bester Lage in der Altstadt häufig der Grund für den Abriss ist. Historische Gebäude, oft Jahrhunderte alt, sind umbauter und nutzbarer Raum. Ihre Materialität hat ihren nachhaltigen Wert bereits bewiesen, die benötigte Produktionsenergie ist längst amortisiert. Ihre regionalen und nachwachsenden Baumaterialien – Holz, Stroh, Lehm, Sand, Reet und Naturstein – verursachten kaum Transportkosten oder Produktionsenergie.
Bei der Bewertung von energetischer Effizienz von Bauwerken müssen die Energiekosten während der gesamten Errichtungs- und Nutzungsdauer berücksichtigt werden, in der Bilanz dieser „Grauen Energie“ sind Denkmale unschlagbar. Und umgebaut und ergänzt bedienen historische Areale den wichtigen flächensparenden Aspekt. Notwendig zur Nutzung der „Ressource Denkmal“ sind Innovation und Kreativität – einfordern muss man sie bei den Kommunen, den Bauherren, ihren Architekten und qualifizierten Handwerkern. Denkmale mit all ihren positiven Aspekten in die Zukunft zu führen und damit die mit ihnen verbundenen negativen Vorurteile aufzuheben ist eine nicht nur ideell, sondern auch finanziell lohnende Aufgabe.
Im Wettstreit um Neubürger gerade im Umfeld von Ballungsräumen, deren Mietpreise bei gleichzeitigem Verlust an Lebens- und Wohnqualität steigen, können ländliche Kommunen mit ihren gewachsenen Strukturen punkten. Neben der den Charakter der Regionen prägenden Bauten spielen attraktive Grünflächen wie Dorfanger, Gärten und Teiche eine wichtige Rolle. In der Kombination von Angeboten für junge Familien und ältere Mitbürger liegen Chancen für die Gestaltung attraktiver Wohn- und Lebensbedingungen. Eine kluge Revitalisierung der Ortskerne und ihres historischen Bestands an Bauten statt einer schnellen Entscheidung für die durchweg aufwändige Erschließung von neuem Bauland in den Außenbereichen steht bereits vielerorts auf der Agenda.
Bundesländer wie Hessen und Baden-Württemberg entwickelten Handreichungen und bieten Beratungen bei der Inwertsetzung historischer Bausubstanz unter Berücksichtigung energetischer und nachhaltiger Aspekte an. Die Vielfalt der Förderprogramme für die Entwicklungen im ländlichen Raum ermöglichen neben rein baulichen Investitionen Projekte zur Partizipation der Bürger und die Entwicklung sozialer und bürgerschaftlicher Initiativen. Dass es keine Patentlösungen gibt, sondern immer wieder die regionalen Anforderungen und Grundlagen berücksichtigt werden müssen, verlangt zusätzlichen Aufwand. In Hessen wurden diese regionaltypischen Formen bei den Grundlagen zur Dorfentwicklung für Laien und Fachleute gleichermaßen erfasst und definiert. Bei der Entwicklung konstruktiver Lösungen im energetischen Bereich ebenso wie bei der Umsetzung der Barrierefreiheit ist in den Abteilungen der praktischen Denkmalpflege in den Denkmalämtern ein hohes Maß an Kompetenz, Erfahrung und Beratung abrufbar.
Geschickte und kreative bauliche Erweiterungen und Umnutzung der oft großflächigen historischen Gehöfte ermöglichen individuelle und attraktive Lösungen für die Infrastruktur im Ortskern. Interessante Ergebnisse und Ideen lässt ein aktuelles interdisziplinäres Projekt der TU-Darmstadt erwarten. Dass sich Hochschulen und Initiativen wie die Messe-Akademie der Leipziger denkmal-Messe verstärkt den Themen der Umnutzung und Weiternutzung von Denkmalen widmet, macht deutlich, wie wichtig Bauen im Bestand für die Zukunft sein wird. Der Funktionsverlust der Innenstädte in kleineren und mittleren Kommunen in ländlichen Regionen sowie der damit einhergehende Verlust an Attraktivität ist eine Abwärtsspirale, der mit der gezielten Umnutzung leer stehender historischer Gehöfte, Scheunen und Nebengebäude im Ortskern entgegen gewirkt werden kann. Bestandsschützende Stadtentwicklung ist ein Pfund, mit dem noch immer zu wenig gewuchert wird.
Weitere Informationen:
- Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitskreis Bautechnik:
„Massgeschneidert – energetische Ertüchtigung von Baudenkmalen“,
als Download: www.vdl-denkmalpflege.de/veroeffentlichungen.html - Bundesstiftung Baukultur; Besser Bauen in der Mitte. Ein Handbuch zur Innenentwicklung:
www.bundesstiftung-baukultur.de/besser-bauen-handbuch - Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg: Denkmalpflege und erneuerbare Energien:
https://www.denkmalpflege-bw.de/publikationen - Bernhard Kolb: Altbausanierung mit nachwachsenden Rohstoffen,
hrsg. FNV; https://mediathek.fnr.de/ - TU Darmstadt „Umnutzung landwirtschaftlicher Nebengebäude – Eine Analyse ökonomischer und bauplanungsrechtlicher Herausforderungen und Potentiale“:
www.real-estate.bwl.tu-darmstadt.de - Hessisches Ministerium für Umwelt: „Bauen im ländlichen Bestand“ sowie: „Grundlagen zur Dorfentwicklung in Hessen“.
Als Download unter Infomaterial auf: www.umwelt.hessen.de