Wo sich der Verkehr wandelt, verändern sich die Städte
Studie widmet sich den Chancen des autonomen Fahrens für Kommunen
Das Automobil hat in der bisherigen Stadtentwicklung, besonders in der Verbindung mit dem Aufkommen der Individualmobilität, immer mehr Raum eingefordert. Asphaltierte Flächen für ruhenden und fließenden Verkehr umfassen in Städten teilweise über zehn Prozent des gesamten Stadtgebiets.
Am Beispiel des autonomen Fahrens zeigt die Studie »Autonomes Fahren im Kontext der Stadt von morgen« (AFKOS), welche Möglichkeitsräume Automatisierung und Konnektivität für eine visionäre Stadtplanung im 21. Jahrhundert eröffnen.
Von der Vision in die Gegenwart: drei Anwendungsmodelle für autonome Fahrzeuge
Im Verlauf der Potenzialstudie wurden zu Beginn 25 wissenschaftliche Studien analysiert und zu drei Zukunftsbildern zusammengefasst, die erstmals einen umfassenden Überblick über die möglichen Effekte von verschiedenen Anwendungsfällen des autonomen Fahrzeugs im städtischen Raum geben. Von der Etablierung autonomer Fahrzeuge in Privatbesitz bis zum Angebot als Mobility-as-a-Service (MaaS) sowie als vollständige Integration in das öffentliche Verkehrsnetz bilden diese Zukunftsbilder die komplette Bandbreite der Möglichkeiten ab, die sich im Laufe des kommenden Jahrzehnts abzeichnen könnten. Erweitert um die Betrachtung der vom Mobilitätssystem verursachten Luftschadstoffe, emittierten Treibhausgase und weiteren Indikatoren lässt sich nachvollziehen, dass eine maximale Integration des autonomen Fahrzeugs in den öffentlichen Verkehr die Alternative mit dem höchsten Potenzial zur Steigerung der städtischen Lebensqualität darstellt. Kurz zusammengefasst also ein intermodales System, das unter Einbezug jeglicher Transportmodi funktioniert und das autonome Fahrzeug dort einsetzt, wo es infrastrukturell nur wenige Alternativen gibt. Das Veränderungspotenzial eines solchen neuen Verständnisses in der Anwendung autonomer Fahrzeuge geht weit über die Minderung der Anzahl von Fahrzeugen oder die Effizienz des Verkehrsflusses hinaus.
Potenziale des autonomen Fahrzeugs in der Stadt nutzen
Der flächendeckende Einsatz autonomer Shuttles als ergänzender Bestandteil des liniengebundenen Nahverkehrs kann die Anzahl der Verkehrsunfälle senken und die mit dem Straßenverkehr verbundenen Emissionen reduzieren. Dabei ließe sich die Anbindung der mit dem öffentlichen Nahverkehr bisher schlecht erreichbaren Stadtviertel verbessern und Infrastrukturen des liegenden und fließenden Verkehrs für alternative Nutzungen öffnen. Die folgenden Beispiele zeigen zudem eine Auswahl der in der Studie aufgezeigten räumlichen Möglichkeiten, die sich im Laufe der kommenden Jahre und im Zuge einer alternativen Verkehrs- und Stadtplanung eröffnen können. Basis der Transformation bilden die in der Studie genauer betrachteten Flächeneinsparungen, die signifikante Entwicklungsflächen eröffnen werden.
Chance 1 – Von mono- zu multifunktionalen Stadtflächen
Die zuvor als reine Verkehrsfläche genutzte Infrastruktur wandelt sich künftig zu adaptivem Raum, der außer zur Versorgung mit Mikromobilitätslösungen sowie zur Nutzung als Transit- und Umschlagsflächen für autonome Fahrzeuge für jegliche Formen des sozialen Austauschs genutzt werden kann. Während der ökonomische Druck auf großräumigen Parkierungsflächen vornehmlich für bauliche Nachverdichtungen sorgen wird, werden kleinere, entlang von Straßen gelegene Parkplätze für eine Vielzahl möglicher Nutzungen eingebunden.
Anliegende Gastronomie sowie der Einzelhandel rücken in den öffentlichen Raum und beleben die Straße als sozialen Ort, während entlang stärker befahrener Straßenkorridore mehr Platz für Bäume und Grünstreifen den Brückenschlag zu größeren Grünanlagen der Stadt schafft. Eine tageszeitabhängige Anpassung städtischer Funktionen auf multifunktionalen Stadtflächen ist nicht nur vielfältiger, sondern ermöglicht ebenso eine flexible Anpassung an die lokal anfallenden Bedarfe.
Chance 2 – Integration grüner Infrastrukturen und klimaaktiver Oberflächen
In Kombination mit naturbasierten Lösungen, wie zum Beispiel Grünflächen auf freiwerdenden Parkplätzen und Fassadenbegrünungen, heben vormals für Mobilitätsangebote genutzte Infrastrukturen das Potenzial zur Verbesserung der Luftqualität sowie des Mikroklimas einer Stadt. Zusätzliche Kosten, die durch beispielsweise umweltbezogene Einflüsse wie starke Regenfälle, Überschwemmungen und Hitzewellen auftreten, können ebenfalls durch derartige Interventionen gemindert werden.
Im Großen und Ganzen könnten Flächeneinsparpotenziale der entscheidende Hebel zur Transformation städtischer Nachteile in einen nachhaltigen und die Lebensqualität steigernden Strukturwandel darstellen.
Aktive Gestaltung des kommunalen Mobilitätssystems wagen
Wenn bis Mitte des 21. Jahrhunderts nur noch 50 Prozent der heutigen Verkehrsflächen benötigt werden, wie wollen wir mit den anderen 50 Prozent angesichts von Klimawandel, Wohnungsnot und Digitalisierung umgehen?
Die genannten Beispiele sind Folgen eines gewissen Anwendungsfalls autonomer Fahrzeugtechnologie, der keineswegs als selbstverständlich angenommen werden sollte. Die Technologie schreibt selbst keine klare Entwicklungsrichtung vor, sondern eröffnet vielmehr eine Vielzahl an möglichen Anwendungsfällen, die vom Gestaltungswillen der beteiligten Kommunen, privatwirtschaftlichen Akteure und schließlich der Bürger abhängig sind.
„Autonomes Fahren im Kontext der Stadt von morgen“:
M.Sc. Claudius Schaufler, Teamleiter Smart Urban Environments
Forschungsbereich Stadtsystem-Gestaltung
Tel.: +49 711 970-2194, Mobil: +49 174-1519890
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