Der neue Kraftstoff ist bereit für die Mobilität der Zukunft: Probennahme eines synthetischen Öls aus einer Technikumsanlage am Institut für Mikroverfahrenstechnik (IMVT) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Der neue Kraftstoff ist bereit für die Mobilität der Zukunft: Probennahme eines synthetischen Öls aus einer Technikumsanlage am Institut für Mikroverfahrenstechnik (IMVT) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

24. Juli 2020

Die ersten Liter klimaneutrales Benzin fließen

Kraftstoffe aus Kohlendioxid der Luft und Ökostrom werden in der integrierten Versuchsanlage im Containermaßstab hergestellt

Die Sektoren Strom und Mobilität zu verbinden, kann einige Herausforderungen der Energiewende bewältigen: Ökostrom ließe sich langfristig speichern, Kraftstoffe mit hoher Energiedichte wären kohlendioxidneutral nutzbar. Wie Sektorenkopplung aussehen kann, haben Forschungspartner des Kopernikus-Projektes P2X auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gezeigt und die ersten Liter Kraftstoff aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom produziert.

„Wind und Sonne versorgen uns weltweit mit einer ausreichenden Menge an Energie, aber nicht immer zur richtigen Zeit“, beschreibt Institutsleiter Professor Roland Dittmeyer vom KIT, Koordinator des Forschungsclusters „Kohlenwasserstoffe und langkettige Alkohole“ innerhalb des Kopernikus-Projektes Power-to-X (P2X), das Dilemma der Energiewende. „Zudem brauchen einige wichtige Verkehrssegmente wie Flug- oder Schwerlastverkehr auch langfristig Kraftstoffe, da diese eine hohe Energiedichte aufweisen.“ Daher liege es nahe, den bisher ungenutzten Ökostrom in chemischen Energieträgern zu speichern.

Die notwendigen chemischen Prozessschritte haben die Partner Climeworks, Ineratec, Sunfire und KIT in einer kompakten Anlage zusammengeschlossen, den gekoppelten Betrieb erreicht und damit das Funktionsprinzip demonstriert. Die Technologiekombination verspricht die optimale Ausnutzung des eingesetzten Kohlendioxids und den größtmöglichen energetischen Wirkungsgrad, da die Stoff- und Energieströme intern recycelt werden. Die derzeitige Versuchsanlage kann rund zehn Liter Kraftstoff pro Tag produzieren.  In der zweiten Phase des Kopernikus-Projektes P2X wird eine Anlage mit 200 Litern pro Tag entwickelt. Danach soll eine vorindustrielle Demonstrationsanlage im Megawattbereich, also mit rund 1.500 bis 2.000 Litern Produktionskapazität pro Tag, entstehen. Damit wäre es theoretisch möglich, Wirkungsgrade von rund 60 Prozent zu erreichen, das heißt, 60 Prozent des eingesetzten Ökostroms als chemische Energie im Kraftstoff zu speichern.

In der Versuchsanlage wird in einem mikrostrukturierten Reaktor mithilfe der Fischer-Tropsch-Synthese ein synthetisches „Rohöl“ erzeugt, das in einem direkt nachgeschalteten Hydrocracking-Schritt zu Kraftstofffraktionen konditioniert werden kann.

In der Versuchsanlage wird in einem mikrostrukturierten Reaktor mithilfe der Fischer-Tropsch-Synthese ein synthetisches „Rohöl“ erzeugt, das in einem direkt nachgeschalteten Hydrocracking-Schritt zu Kraftstofffraktionen konditioniert werden kann.

Vier Schritte zum Benzin

In der aktuellen Ausbaustufe, der integrierten containerbasierten Versuchsanlage, haben Forschungspartner des von der Bundesregierung geförderten Kopernikus-Projekts P2X erstmals alle vier benötigten chemischen Prozessschritte zu einem kontinuierlichen Verfahren mit maximaler Kohlendioxidausnutzung und besonders hoher Energieeffizienz zusammengeführt.

Im ersten Schritt gewinnt die Anlage Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in einem zyklischen Prozess. Die Direct-Air-Capture-Technologie von Climeworks, eines Spin-offs der ETH Zürich, nutzt dazu ein speziell behandeltes Filtermaterial. Wie ein Schwamm nehmen die luftdurchströmten Filter Kohlendioxidmoleküle auf. Unter Vakuum und bei 95 Grad Celsius löst sich das anhaftende Kohlendioxid wieder von der Oberfläche und wird abgepumpt.

Die gleichzeitige elektrolytische Spaltung von Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf erfolgt im zweiten Schritt. Diese so genannte Co-Elektrolyse des Technologieunternehmens Sunfire produziert in einem einzigen Prozessschritt Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid, ein Synthesegas, das die Grundlage für vielfältige Verfahren in der chemischen Industrie ist.

Die Co-Elektrolyse mit einem hohen Wirkungsgrad kann im industriellen Maßstab 80 Prozent des eingesetzten Ökostroms chemisch im Synthesegas binden.

Nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren werden im dritten Schritt aus dem Synthesegas langkettige Kohlenwasserstoffmoleküle gebildet, also die Rohprodukte für Kraftstoffe.

Dazu liefert Ineratec, eine Ausgründung aus dem KIT, einen mikrostrukturierten Reaktor, der auf kleinstem Raum eine große Oberfläche bietet, um Prozesswärme sicher abzuleiten und für andere Prozessschritte zu nutzen. Der Prozess lässt sich auf diese Art leicht steuern, kann Lastwechsel gut verkraften und ist modular erweiterbar.

Der vierte Schritt optimiert schließlich die Qualität des Kraftstoffes und die Ausbeute. Diesen Teilprozess, das so genannte Hydrocracken, hat das KIT in die Prozesskette integriert. Unter Wasserstoffatmosphäre spalten sich die langen Kohlenwasserstoffketten in Gegenwart eines Platin-Zeolith-Katalysators teilweise auf und verändern somit das Produktspektrum hin zu mehr verwendbaren Kraftstoffen wie Benzin, Kerosin und Diesel.

Besonders großes Potenzial bietet das Verfahren hinsichtlich seines modularen Charakters. Die Schwelle für eine Realisierung ist durch das geringe Skalierungsrisiko deutlich niedriger als bei einer zentralen, chemischen Großanlage. Das Verfahren kann dezentral installiert werden und ist somit dort einsetzbar, wo Solar-, Wind- oder Wasserkraft zur Verfügung stehen.

Demonstrationsanlage des Kopernikusprojekts P2X: Weltweit erste integrierte Power-to-Liquid (PtL)-Versuchsanlage zur Synthese von Kraftstoffen aus dem Kohlendioxid der Luft

Demonstrationsanlage des Kopernikusprojekts P2X: Weltweit erste integrierte Power-to-Liquid (PtL)-Versuchsanlage zur Synthese von Kraftstoffen aus dem Kohlendioxid der Luft

 

Das Kopernikus-Programm ermöglicht die flexible Nutzung erneuerbarer Ressourcen

„Power-to-X“ bezeichnet Technologien, die Strom aus erneuerbaren Quellen in stoffliche Energiespeicher, Energieträger und energieintensive Chemieprodukte umwandeln. Damit können Erneuerbare Energien in Form von maßgeschneiderten Kraftstoffen für Kraftfahrzeuge oder in verbesserten Kunststoffen und Chemieprodukten mit hoher Wertschöpfung genutzt werden.

Im Rahmen des Kopernikus-Programms der Bundesregierung wurde für dieses komplexe Themenfeld mit dem Projekt „Power-to-X“ (P2X) eine nationale Forschungsplattform aufgebaut. Insgesamt sind 18 Forschungseinrichtungen, 27 Industrieunternehmen sowie drei zivilgesellschaftliche Organisationen an P2X beteiligt. Innerhalb von zehn Jahren sollen neue technologische Entwicklungen bis zur industriellen Reife gebracht werden. In der ersten Förderphase stehen Forschungsarbeiten zur kompletten Wertschöpfungskette von elektrischer Energie bis zu stofflichen Energieträgern und Produkten im Fokus.

 

Siehe auch folgende Beiträge:

Emissionsfreie Mobilität

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17. April 2024


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