Fachkräftemangel – kein Phänomen der Industrie
Auch der Öffentliche Dienst leidet / Welche Chancen birgt der demografische Wandel für Kommunen?
Die Berufsbilder des öffentlichen Dienstes sind höchst unterschiedlich. Angefangen vom Bürgermeister, der von den Bürgern in der Kommune gewählt wird, über die klassischen Verwaltungsmitarbeiter, den Menschen im Bauhof, den Erzieherinnen, den Hausmeistern und Mitarbeitern im Klärwerk bis hin zu Musikern und Dozenten.
„Den“ Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst gibt es also nicht. Und somit gibt es auch nicht „den“ Fachkräftemangel per se. Und doch müssen die Kommunen immer mehr Runden drehen, um geeignete Mitarbeiter zu gewinnen. Beileibe sind davon nicht alleine die sozialen Berufe betroffen.
Eine Wahrheit ist, dass der Öffentliche Dienst zwar ein guter Arbeitgeber ist. Er ist aber in seiner Gehaltsstruktur sehr unflexibel aufgestellt.
Vor Corona war dies ein echtes Hemmnis. Wie nachhaltig attraktiver die öffentliche Verwaltung wird, wenn der Wirtschaftseinbruch endgültig am Arbeitsmarkt angekommen ist, muss sich zeigen.
Entscheidend für die öffentliche Hand ist die Mitarbeiterbindung. Dass die Generation Schulabgänger im Vergleich zur Babyboomer-Generation etwa um die Hälfte zurückgegangen ist, ist bereits seit rund zehn Jahren Tatsache.
Es wird von unten her, also bei den jungen Menschen, keinen zusätzlichen demografisch bedingten Rückgang mehr geben. Vielmehr ist deutlich zu spüren, dass die Zahl der Kinder wieder zunimmt.
Wurden vor 20 Jahren pro Frau noch etwa 1,3 Kinder geboren, sind es jetzt rund 1,6 Kinder. Das ist weit weg von den berühmten 2,1 Kindern pro Frau, die notwendig sind, um den Bevölkerungsstand zu halten.
Im Vergleich zu 1970 erleben wir also noch immer einen deutlichen Rückgang. Im Vergleich zu 1990 allerdings ein deutliches Wachstum – und dieses kommt in 20 Jahren auch am Arbeitsmarkt an.
Die Lücke droht – und das ist neu – durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben bis 2035. Diese können nicht mehr ausreichend durch junge Menschen ersetzt werden.
Nach einer neuen Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos würden im Jahr 2025 ungefähr 2,9 Millionen und im Jahr 2031 sogar 3,6 Millionen Fachkräfte am deutschen Arbeitsmarkt fehlen [1].
Wir müssen also fragen:
1. Was muss ich meinen Mitarbeitern bieten, damit diese nicht wechseln wollen? Das hat nicht nur mit Geld zu tun. Vielmehr stellen sich hier Fragen nach flexibleren Arbeitszeiten (und Telearbeit), der besseren Vereinbarkeit von Familie (und Pflege) und Beruf. Der Anfahrtswege, der Nutzung des Nahverkehrs, der Kinderbetreuung, Mitarbeiterentwicklung und vieles mehr. Es sind also oftmals „weiche Faktoren“, die entscheiden.
2. Was muss ich meinen älteren Mitarbeitern anbieten, dass sie sich so wohlfühlen, dass sie gerne hier arbeiten und vielleicht auch etwas länger? Das ist also die Wertschätzung diesen Menschen gegenüber, die Frage von Weiterbildungsangeboten oder eines flexibleren Renteneintritts.
3. Entscheidend wird auch sein, ob man in einer Zeit, in der die Digitalisierung verstärkt im Öffentlichen Dienst ankommt (und sich viele, vor allem jüngere Bürgermeister diesem Themenfeld zuwenden), die älteren Mitarbeiter einbindet oder sozusagen „in die innere Verbannung schickt“, weil sie sich abgehängt fühlen.
4. Und natürlich: Eine Kommune muss ein interessanter Arbeitgeber bleiben. Es ist also auch das Bild nach außen wichtig. Wird Arbeit wertgeschätzt? Oder herrscht in der Verwaltung Streit?
Der öffentliche Dienst steht in einem harten Wettbewerb um gute Köpfe. Er muss seine Stärken ausspielen und lernen, interessant zu sein. Es ist immer gut, einmal die eigene Arbeitskultur im Hause zu überprüfen.
Dabei sollte es primär nicht darum gehen, herauszufinden, wie Arbeitsprozesse noch effizienter von weniger Menschen bewältigt werden können. Genau dazu ist ja die öffentliche Hand nicht gezwungen – bei allen Sparnotwendigkeiten. Seine Stärke kann in der Mitarbeiterbindung liegen, der Identifikation mit der Kommune. Gelingt dies, ist der Aderlass durch den Ruhestand der Babyboomer keine Gefahr.
Thaddäus Kunzmann, Demografiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg
20Literaturhinweis:
[1] Specht, Frank. Demografischer Wandel: Deutschland fehlen bald 2,9 Millionen Arbeitskräfte.
HANDELS-BLATT vom 01.03.2019, Informationen: https://lmy.de/BGXR6