Bayern auf digitalem Weg
Hybride Gemeinderatssitzungen: Im Dienst für Demokratie und im Kampf gegen Corona
Für die einen ist es der Daueraufreger schlechthin, für die anderen besteht kaum Bedarf: Virtuelle Sitzungen in der Kommunalpolitik sind auch im zweiten Corona-Jahr selten. Während Politiker in Berlin vor Weihnachten die dringende Empfehlung gaben, auf alle Kontakte zu verzichten, trafen sich die Stadt- und Gemeinderäte vor Ort – offensichtlich jedenfalls mit guten Hygienekonzepten, denn ein Ausbruch von Covid-19 hat bisher kein Gremium lahmgelegt. Bayern wagt jetzt einen Schritt in Richtung virtueller Sitzungen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie tagen viele Teams und Gremien virtuell. Kommunalpolitiker kennen Online-Treffen allerdings eher aus dem privaten oder beruflichen Bereich. Erst langsam schält sich der Schritt zu Videokonferenzen heraus. Baden-Württemberg zog allen Bundesländern davon, als im Mai 2020 die Erlaubnis geschaffen wurde. Bayern zieht nach. Die gesetzlichen Regelungen unterscheiden sich allerdings.
Das bayerische Innenministerium bereitet ein Gesetz vor, um kommunalen Gremien die audiovisuelle Zuschaltung von Sitzungsteilnehmern zu ermöglichen. Bei der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs begrüßten Bayerns Innen- und Kommunalminister Joachim Herrmann und Digitalministerium Judith Gerlach den Gesetzentwurf der beiden Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler (FW), um Kommunen hybride Sitzungen zu ermöglichen. „Mit dem Gesetzesentwurf sollen die Kommunen auch in Form von Hybridsitzungen tagen können“, sagte Herrmann.
Bayern sieht Beitrag für Teilhabe
Rein virtuelle Sitzungen bleiben in Bayern allerdings ausgeschlossen: Mindestens der Vorsitzende muss im Sitzungsraum körperlich anwesend sein, so heißt die geplante Vorgabe. Sitzungen kommunaler Gremien allein über Video oder Telefonie sind im Oktober vom bayerischen Landtag abgelehnt worden. „Mir ist wichtig, dass kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger digitale Lösungen so weit wie möglich in der Gremienarbeit nutzen können“, betonte Gerlach. „Damit leisten wir einen großen Beitrag für die Teilhabe, auch unabhängig von der Bewältigung der Corona-Pandemie. Ich appelliere an die kommunalen Gremien und Verwaltungen, diese digitale Chance zu nutzen.“
Sie wies darauf hin, dass beispielsweise Menschen mit Behinderungen oder Eltern mit kleinen Kindern leichter an Ratssitzungen teilnehmen können, wenn diese auch online verfolgt werden können.
Skepsis gegenüber Webkonferenzen herrscht auch beim kommunalen Spitzenverband Bayerns. „Wir sind aus mehreren Gründen zurückhaltend“, sagte Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetags. Viele rechtliche Fragen seien noch nicht geklärt. „Was tue ich als Stadtrat, wenn es technische Probleme gibt? Wie sieht es mit der Vertraulichkeit bei nicht-öffentlichen Sitzungen aus?“ nannte er als Beispiele. Seiner Ansicht nach werden Präsenzsitzungen der Regelfall bleiben.
Auf Anfrage des Magazins Kommunaltopinform teilte Sandra Schließlberger, Stellvertretende Pressesprecherin des Innenministeriums mit, dass „in den kommunalen Gremien Abstimmungen grundsätzlich offen stattfinden.“ Dies geschieht durch die Abfrage des Vorsitzenden, wer dem Beschlussvorschlag zustimmt oder ihn ablehnt. Enthaltungen sind kommunalrechtlich unzulässig. Zustimmung und Ablehnung werden durch Handheben ausgedrückt. Diese Form der Abstimmung sei auch bei audiovisuellen Zuschaltungen möglich. Geheime Abstimmungen sieht das Kommunalrecht in Bayern nur bei Wahlen in den Gremien vor. Da eine geheime Stimmabgabe bei audiovisuellen Zuschaltungen nicht möglich ist, schließt der Gesetzentwurf audiovisuell zugeschaltete Teilnehmer von diesen Wahlen aus.
Baden-Württemberg macht es vor
In Baden-Württemberg wurde die Möglichkeit virtueller Tagungen im vergangenen Jahr geschaffen, um auch in Pandemiezeiten arbeitsfähig zu bleiben, aber sie wurde zögerlich angenommen. Bis November nahmen nach einer Umfrage des Innenministeriums sieben Städte und Gemeinden sowie zwei Kreistage diese Übergangsregelung in Anspruch. Allerdings scheint in diesem Jahr die Nachfrage deutlich zu steigen. Dafür muss die Satzung geändert werden.
Wahrscheinlich läuft es auch in Baden-Württemberg bei hohen Inzidenzwerten auf Hybridsitzungen hinaus.
Da Bürgermeister über die Einberufung einer Präsenz- oder virtuellen Ratssitzung entscheiden, kann es zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen Ratsmitgliedern und Verwaltungsspitze kommen, ob eine Notsituation vorliegt, um eine virtuelle Sitzung einzuberufen. Deshalb empfiehlt die kommunalpolitische Vereinigung von Bündnis 90/Die Grünen, die Gründe für digitale Sitzungen genauer zu definieren.
Oft wurde die Ausnahmeregelung bisher für Sitzungen mit einfachen Sachverhalten genutzt. Aalen hingegen hat im Dezember sogar den neuen Haushalt in einer Hybridsitzung verabschiedet. In Villingen-Schwenningen steht die Technik zwar bereit, aber die FDP in der Opposition kann sich mit ihrer Forderung nach digitalem Fortschritt dennoch nicht durchsetzen. In Nagold fand vor wenigen Wochen die erste virtuelle Sitzung statt. Baden-Württembergs Innenminister Strobl betont die Regelung als Ausnahme: „Schließlich ganz ehrlich – auch der Schoppen nach der Gemeinderatssitzung im Ratskeller gehört dazu, und der kann und soll freilich nicht digitalisiert werden. “