Brach liegende Straßenränder wandeln sich in begehrte Lebensräume
Artenvielfalt und 27.000 Hektar Straßenbegleitgrün können zusammenpassen
Welches Potenzial hat Straßenbegleitgrün? Für Antworten auf diese Frage schloss Ende 2020 das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen ein dreijähriges Modellprojekt ab. Untersucht wurden unterschiedliche Methoden zur Pflege von Straßenböschungen und zur Ansaat von Blühflächen und deren Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Mit auf der Agenda stand eine Wildbienenuntersuchung.
Straßenränder rechts und links von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen fristeten lange ein oftmals wenig beachtetes Dasein. Noch dazu sorgt nach wie vor stellenweise jede Menge Müll, den Vorbeifahrende verursachen, für ein schlechtes Image. Da der dramatische Verlust der Artenvielfalt seit einigen Jahren zu einer der deutlich benannten größten Herausforderungen unserer Zeit wurde, werden genau diese Grünflächen immer wichtiger. Als Sofortmaßnahme gegen den Artenverlust hat die Landesregierung von Baden-Württemberg 2017 das „Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt“ ins Leben gerufen, in dessen Rahmen das Ministerium für Verkehr verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün umsetzt. Über das dazugehörige Maßnahmen- und Förderprogramm für Stadt- und Landkreise, Städte und Gemeinden werden die insektenfreundlichen Projekte gefördert. Es gibt erstaunliche 27.000 Hektar Grünflächen entlang der Straßen im Land. Und die haben sich gelohnt, in einem Modellprojekt für mehr Biodiversität untersucht zu werden. Aus den Erfahrungen dieser Aktivitäten ergeben sich mehrere Möglichkeiten, wie Kommunen die Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün erhöhen und letztendlich durch Landesförderung in die Praxis umsetzen können.
Wenn Gräser dicht machen, hat Artenvielfalt keine Chance
Straßenbegleitgrün ist vielgestaltig und nicht alle Flächentypen sind gut geeignet, um daraus ökologisch hochwertige Lebensräume zu entwickeln. Björn Losekamm, Referent im Referat „Naturschutz an Verkehrswegen“ des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg, begleitet das Modellprojekt und die Unterstützung der Kommunen: “Die Basis der ökologischen Pflege des Straßenbegleitgrüns bildet die abschnittsweise Pflege, bei der in einem Pflegegang nur ein Teil der Fläche gepflegt und ein Rest stehen gelassen wird. Hintergrund ist, dass Pflegegänge zu Verlusten bei Insekten und Kleintieren führen können, eine gewisse Pflegehäufigkeit aber notwendig ist, um den Lebensraum dieser Arten langfristig zu erhalten. Dementsprechend muss der belassene Rest, die sogenannte Refugialfläche, ausreichend Rückzugsraum für Tiere bieten, sollte aber auch nicht zu groß sein.“
In der Regel werden Grasflächen an Straßen einmal jährlich gemulcht und der Grasschnitt bleibt auf den Flächen liegen. Bei trockenen Flächen mit lückiger Vegetation und geringem Aufwuchs kann diese Regelpflege eine gute Option darstellen, wenn dabei Restflächen belassen werden. Die Erfahrungen des Modellprojektes zeigen, dass trockene, lückige Flächen dringend benötigte Nistflächen für Wildbienen sein können. Aber auf den meisten anderen Flächen schaffe das einmal jährliche Mulchen nicht den gewünschten Arten- und Blütenreichtum. Wünschenswert wäre eine andere Pflege oder eine Ansaat mit Blühmischungen.
Als eine gute Möglichkeit besonders auf mäßig wüchsigen Flächen, sieht Björn Losekamm das Mähen mit Abräumen des Grasschnittes. „Durch diese sogenannte Aushagerung werden sukzessive über mehrere Jahre Nährstoffe von den Flächen entfernt, was einen lichteren Bewuchs schafft und insbesondere Blütenpflanzen fördert. Von der größeren Vielfalt an Blütenpflanzen profitieren Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten.“ Diese Maßnahme bildet den Kern der Maßnahmen zur ökologischen Aufwertung des Straßenbegleitgrüns, die das Ministerium für Verkehr im Rahmen des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt seit 2018 fördert.
Strauß voller Ideen für das große Summen, Krabbeln und Flattern
Björn Losekamm verweist darauf, dass die Ansaat von mehrjährigen Blühmischungen auf Straßenbegleitflächen zum Erhalt der Artenvielfalt eingesetzt werden kann, wenn die richtigen, heimischen Pflanzenarten ausgebracht werden: „Hierbei besteht Unterstützungsbedarf von Fachkundigen, da bei der Anlage von Blühflächen die spezifischen Bedürfnisse von Wildbienen, Tagfaltern und anderen Insekten berücksichtigt werden müssen. Oft werden Wildbienen und Honigbienen zusammengefasst, obwohl Wildbienen eine Vielzahl teilweise stark bedrohter Arten umfassen, was auf die als Nutztiere zu betrachtenden Honigbienen so nicht zutrifft.“
Damit bereits beim Neubau kommunaler Straßen in Baden-Württemberg artenreiche Blühflächen geschaffen werden, wird über das Sonderprogramm des Landes auch die Beschaffung geeigneter Saatgutmischungen für Neubaumaßnahmen gefördert. Ebenfalls gefördert wird die insektenfreundliche Aufwertung von Rastplätzen und Kreisverkehren an Bundes- und Landesstraßen, um dort Nahrung für Hummeln, Falter, Käfer und andere Insekten bereitzustellen.
Um das insektenfreundliche Handeln der Kommunen öffentlichkeitswirksam zu unterstützen, bietet das Verkehrsministerium mit dem Wettbewerb „Blühende Verkehrsinseln“ den Städten und Gemeinden im Land die Möglichkeit, schnell und einfach ein Zeichen für den Insektenschutz zu setzen. Dazu gehört die Auszeichnung mit der „Goldenen Wildbiene“ für Grünflächen rechts und links der Straßen, die in insektenfreundliche Blühflächen umgewandelt wurden. [ sf ]
Weitere Informationen und Rückfragen:
Björn Losekamm
Referat 26: Naturschutz an Verkehrswegen
Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg
Tel.: +49 711 231-3664