Overtourismus in Oberstdorf

Autos, soweit das Auge reicht: Dass Oberstdorf nicht auf eine extrem hohe Zahl an Gästen ausgerichtet ist und sein Ortszentrum vor allem auch autofrei halten möchte, zeigte sich im letzten Sommer und Herbst. So parkten Besucher nicht mehr nur auf den ausgewiesenen Parkplätzen, sondern auch einfach am Straßenrand außerhalb des Ortes.

22. Dezember 2021

Was passiert, wenn zu viele Touristen kommen?

Seit einigen Jahren müssen sich Kommunen zunehmend mit dem Phänomen „Overtourismus“ auseinandersetzen – doch wie geht man als betroffener Ort damit um?

KOMMUNALtopinform hat mit vier Experten gesprochen, die in den letzten Jahren in durch Touristen überfüllten Freizeitorten Erfahrungen sammeln konnten. Denn von den sich ausbreitenden und über soziale Medien gesteuerten Besucherfluten sind nun auch zunehmend ländliche Gebiete betroffen.

 

Michael Finger ist seit 15 Jahren Vorsitzender der Kreisgruppe Oberstdorf-Fischen vom BUND Naturschutz in Bayern. Oberstdorf gehört mit seinen drei Höhenlagen zu den beliebtesten Wander- und Erholungsgebieten Deutschlands. In höheren Lagen fühlen sich die Kletterer und Bergsteiger wohl. Dazu kommt eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt. Aber von Jahr zu Jahr kommen immer mehr Gäste, die dem bayerischen Ort im Oberallgäu viel abverlangen.

 

Oberstdorf ist ein beliebtes Wander- und Erholungsgebiet

Michael Finger, Vorsitzender der Kreisgruppe Oberstdorf-Fischen vom BUND Naturschutz in BayernMichael Finger: „Viele Tagesgäste benehmen sich häufig rücksichtlos. Hier benötigen wir Lösungen.“

„Wir haben 2,5 Millionen Übernachtungen und bis zu 10.000 Tagesgäste. Unter diesen Tagesgästen leiden alle. Die Anwohner genauso wie die Besucher, die hier übernachten und auf einige Tage oder Wochen mit Ruhe und Entspannung hoffen. Wir Einheimischen sind freundliche Menschen, aber viele dieser Tagesgäste sind sehr rücksichtslos. Im Endeffekt geht dann auch die berühmte Gastlichkeit verloren.

Dazu kommen die Probleme in der Natur. Wir haben Steinböcke, Steinadler, seltene Pflanzen – und diese Natur leidet fürchterlich, wenn überall die Autos parken, Taschentücher herumliegen oder die Leute hinter die Büsche pinkeln. Die Gäste, die hier länger bleiben und dafür sorgen, dass die touristische Infrastruktur am Leben bleibt, leiden darunter genauso wie die Einheimischen. Es gibt dann keine einsamen und stillen Bergwanderungen mehr, denn überall sind Menschen unterwegs. An manchen Tagen geht es hier zu wie in einer Großstadt.

Ich denke, man kann das Problem mit einem dreiteiligen Konzept lösen.

Wir brauchen eine Lenkung der Gäste. Das bedeutet, dass die Besucher vorab einen Parkplatz reservieren müssen. Wenn alle Plätze reserviert sind, ist alles zu und eine Anreise wird dadurch sinnlos. So kann man Overtourismus vermeiden. Ich hoffe sehr, dass dieses Konzept ab 2022 durchgeführt wird.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Aufklärung. Der Naturschutz muss über Infotafeln und mithilfe von speziell ausgebildeten Ranchern mit den Gästen kommunizieren und ihnen vermitteln, dass wir hier eine einmalige Natur zu bieten haben. Die Gäste müssen für die Region und ihre Besonderheiten sensibilisiert werden. Genauso macht man es bereits in den Nationalparks der USA und in anderen Ländern.

Zu guter Letzt muss man auch die Kosten im Auge behalten. Denn ein Parkplatz hat einen Wert. Überall dort, wo Parkplätze gebaut werden, geht auch ein Stückchen Natur verloren. Es kann nicht sein, dass sich nur die Dauergäste über die Kurtaxe an den Kosten beteiligen. Das muss auch über die Parkplätze für die Tagesgäste geschehen, und das ist rein juristisch auch machbar. Gleichzeitig muss man den öffentlichen Nahverkehr natürlich fördern.

Unsere Natur ist kein Spielplatz ohne Regeln und Gesetze. Wir Menschen, die vor Ort leben, haben auch unsere Rechte. Wir müssen unsere Natur bewahren und immer wieder darauf hinweisen, wie selten und wie kostbar unsere Bergwelt ist. Wir sind kein Folklore-Museum, wir sind real mit realen Problemen.“

 

Weitere Informationen:
https://kempten.bund-naturschutz.de/ortsgruppen/overtourism

 

Kontaktdaten:

Bund Naturschutz
Ortsgruppe Oberstdorf

87561 Oberstdorf, Bichl-Weg 5
Tel.: 08322-1329
4fingerfamily@gmx.de
https://kempten.bund-naturschutz.de

 

 

In Oberstdorf gibt es zwei Pendelbahnen, die von Touristen gerne genutzt werden: Mit der Nebelhorn-Seilbahn beispielsweise geht es über drei Seilbahn-Streckenabschnitte rauf auf über 2200 Meter.

 

Auch von Radfahrern – Mountainbikern – wird Oberstdorf häufig besucht.

 

Im September 2021 zog das schöne Wetter viele Bergliebhaber in die Umgebung von Oberstdorf. Es waren manches Mal dann aber doch viel zu viele.

 

Weitere Statements zum Thema folgen!

Wir bedanken uns ganz herzlich dafür!

 

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Diskutieren Sie mit!

 

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Ort mit Touristen gemacht?
Haben Sie Pläne entwickelt, mit denen Sie den Scharen von Besuchern Herr werden können?
Welche Ideen für Lösungen gibt es, um Besucher-Hotspots zu vermeiden und Gäste auf mehrere Touristenziele zu verteilen?
Wie sollten Touristenziele aussehen, damit sich die dort lebenden Einheimischen noch wohlfühlen?

Wir sind gespannt auf Ihre/Eure Erfahrungen!

 


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Redaktion KOMMUNALtopinform
Verlag und Medienhaus Harald Schlecht
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