Energiepreise stehen unter Druck
Hohe Nachfrage bei Erdgas / Leitprojekte erproben Umstieg auf Wasserstoff
Die Verbraucher stöhnen, weil die Preise für Energie förmlich explodieren – auf welchen Markt man auch schaut. Besonderes öffentliches Interesse weckt der Gasmarkt, der doch durch die zusätzliche Pipeline Nord Stream 2 eher beruhigt werden sollte. Viele Faktoren haben zu einer ungewöhnlichen Situation geführt, die zwar die Preisspirale in Gang gesetzt haben, aber die Sicherheit der Versorgung ist nicht gefährdet. Eine Umsetzung der internationalen Klimaziele wird jedoch zu einer deutlichen Verringerung des Gas- und Erdölverbrauchs führen.
Der Weg zum klimaneutralen Energieverbrauch beschäftigt zunehmend die Verbraucher, sowohl privat wie auch geschäftlich. „Unsere Kundinnen und Kunden fragen nach dem Beitrag der Gasinfrastruktur zur Energiewende, und wir liefern – heute und morgen mit klimaschonenden Gaslösungen, die alte Ölheizungen ersetzen“, sagt Marcus Böske, Sprecher der Geschäftsführung bei der Energie Südbayern (ESB). „Zukünftig werden Grüner Wasserstoff und klimaneutrale Gase gerade in bestehenden Strukturen zur erfolgreichen Energiewende beitragen.“
Das Ergebnis soll ein Projekt zur Zukunft der Gasverteilnetze liefern: Darin soll reiner Wasserstoff transportiert werden. Thüga und ESB zeigen mit dem Projekt „H2Direkt“, wie die Umstellung gelingen soll. Die Ergebnisse fließen in einen Leitfaden ein, wie Gasnetze auf reinen Wasserstoff umgestellt werden können.
Über einen Netzstrang der ESB mit zehn Haushalts- und einem Gewerbekunden wird 1,5 Jahre lang reiner Wasserstoff transportiert. Die Thüga will demonstrieren, dass die bestehenden Gasverteilnetze „das Rückgrat der klimafreundlichen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland bilden können“, erklärt Thüga-Vorstandsvorsitzender Michael Riechel. Für Koordination und Umsetzung der Arbeitspakete zu Anlagen, Netz und Kunden sind ESB und die Netztochter Energienetze Bayern zuständig.
Wasserstoff direkt transportiert
Den Umstieg auf Wasserstoff sollen Leitprojekte unterstützen. „TransHyDE“ testet und bewertet Transportlösungen. Es umfasst vier Demonstrationsprojekte und fünf wissenschaftliche Projekte. Dort ist „H2Direkt“ angesiedelt. Die Leitprojekte bilden die größte Forschungsinitiative des Bundesforschungsministeriums zum Thema Energiewende. Darin werden Lösungen für die deutsche Wasserstoffwirtschaft von der Serienfertigung der Elektrolyseure, der Erzeugung von Wasserstoff auf See oder dem Transport von Wasserstoff entwickelt.
Mit dem Umstieg auf Wasserstoff wird der Ausstieg aus der Erdgasnutzung vorbereitet. „Wenn die Pariser Klimaziele ernsthaft umgesetzt werden, wird sich der heutige Gasverbrauch halbiert haben müssen“, sagt Professorin Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, im Interview mit der Deutschen Welle. „Ob dies gelingt, hängt entscheidend davon ab, ob die Ausbaubarrieren für erneuerbare Energien abgebaut werden, und insbesondere im Gebäudebereich die umfassende energetische Sanierung zur deutlichen Senkung des Erdgasbedarfs führen wird.“ Kemfert betont, Nord Stream 2 werde gar nicht gebraucht.
Die Gaspreise klettern inzwischen in Europa von Rekord zu Rekord. Die Hintergründe sind vielfältig. Insbesondere die hohe Nachfrage treibt den Preis. In Asien ist der wirtschaftliche Nachholbedarf nach dem Corona-Lockdown zu spüren. Speziell in China stieg die Nachfrage für Erdgas im ersten Halbjahr 2021 um 28 Prozent. Unterstützt wird der Trend durch eine Verlagerung der Energiegewinnung auf Gaskraftwerke, um sich von Kohleverstromung zu lösen und den Industriesektor CO2-ärmer zu beliefern. Hinzu kommen sehr kalte Winter- und Frühjahrsmonate in Asien und Nordamerika. Europa verzeichnete immerhin den kältesten April seit vier Jahrzehnten. Auch Russland musste die nationalen Gasspeicher wegen eines kalten Winters angreifen. Argentinien leidet ebenfalls unter starker Kälte. In Deutschland hat eine Windflaute zusätzlich zum Atom- und Kohleausstieg die Nachfrage verstärkt.
Kein Versorgungsengpass erkennbar
Zeitgleich ging das Angebot durch eine geringere Förderung zurück. Die Entnahme in Groningenfeld sowie in Großbritannien wird weiter nachlassen. Wartungsarbeiten in Norwegen sowie in Australien, dem zweitgrößten Erdgasexporteur nach Katar, haben das Angebot massiv eingeschränkt. „All dies stellt uns aktuell zwar vor eine besondere Situation, die aber auch nicht außergewöhnlich ist“, heißt es bei der VNG in Leipzig. Denn „Europa ist wie kein anderer Markt mit Erdgas- beziehungsweise LNG-Quellen verbunden und die europäischen Energiehandelsplätze sind liquide sowie über das eng vermaschte Gasnetz gut miteinander verbunden.“
Die VNG hat Lieferverträge über längere Zeiträume mit Russland. Dafür gibt es definierte Preisregeln mit Absicherungen gegen extreme Preisbewegungen. Zusätzlich würde der Start von Nord Stream 2 laut VNG die Versorgungssicherheit erhöhen. „Nach unseren Erkenntnissen gibt es von russischer Seite keine Verknappung des Angebotes, um etwa gezielt Nord Stream 2 zu pushen“, betont ein VNG-Sprecher.
Die Bundesnetzagentur hat jedenfalls nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa bis Anfang Januar Zeit, über eine Betriebserlaubnis für die Röhren zu entscheiden. Die Röhren sind für technische Tests mit Gas befüllt, allerdings wird darum gestritten, ob der Betrieb der europäischen Gasmarktregulierung unterliegt. Dann müssten Förderung und Transport von Erdgas voneinander getrennt werden. Eine künstliche Verknappung des Angebots kontert der russische Konzern Gazprom mit dem Hinweis, dass allein nach Deutschland bisher 28 Prozent mehr Gas als 2020 gepumpt wurde.
Russischen Experten zufolge sei Europa an der Entwicklung mit schuldig. Denn die europäischen Kunden hätten darauf gepocht, dass die langfristigen Lieferverträge zunehmend an die volatilen Preise der Energiebörsen gebunden werden. Während der Preis aktuell etwa 900 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas beträgt, würde er bei der alten Ölpreisbindung unter 250 Euro liegen. [ dlu ]
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