Was wäre wenn… den Ernstfall simuliert
Versammlungsstätten benötigen gut geführte Rettungswege / Personenstromanalyse ersetzen aufwändige Bauarbeiten
Nicht selten kommt es im Zuge einer Brandverhütungsschau vor allem bei Versammlungsstätten zu folgender Beurteilung: unzureichende Rettungswegsituation. Die damit verbundene Verpflichtung zur Mängelbeseitigung zwingt Eigentümer und Betreiber häufig zu umfangreichen Ertüchtigungsmaßnahmen oder zu einer Einschränkung in der erlaubten Personenzahl. Eine Alternative können Personenstromanalysen im Rahmen von leistungsorientierten Nachweisen bieten.
Räumungssimulationen werden bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in der Praxis erfolgreich angewandt, sind allerdings noch immer weitestgehend unbekannt. Doch es steckt großes Potential hinter dieser Form der Personenstromanalyse, planerisch wie auch wirtschaftlich. Denn durch diese bietet sich die Möglichkeit, Rettungswege abweichend von den präskriptiven Vorgaben des Baurechts ausbilden zu können. Dies wird insbesondere bei Bestandsgebäuden interessant, da hier Ertüchtigungen oftmals nur mit großem Aufwand umsetzbar sind.
Meist betrifft es Versammlungsstätten, bei denen durch eine Brandverhütungsschau oder im Rahmen eines Baugesuchs abweichende Rettungswegbreiten festgestellt werden und der Betreiber zur Mängelbeseitigung verpflichtet wird. Die Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättVO)
stellt verschiedenste Anforderungen an die Rettungswegbreiten. Unter anderem fordert diese mindestens zwei Rettungswege mit je 1,20 Metern lichter Breite. Bestehende Türen oder Flure mit geringerer Breite dürfen nicht berücksichtigt werden.
Diese Anforderung an die Mindestbreite führt im Bestand dazu, dass einzelne Rettungswege nicht als solche angesetzt werden dürfen und Ertüchtigungen erforderlich werden.
In einem solchen Fall kann die Personenstromanalyse erfolgreich zum Einsatz kommen und dadurch nachgewiesen werden, dass die bestehende Rettungswegsituation im Hinblick auf die Einhaltung der Schutzziele ausreichend ist.
Praxisbeispiel: Zuschauertribüne im Bestand
Wie ein solcher Nachweis geführt werden kann, soll anhand einer Sporthalle mit Zuschauertribüne aus den 1970er Jahren verdeutlicht werden. Hier wurden diverse Abweichungen zur damaligen Baugenehmigung beziehungsweise Landesbauordnung festgestellt; unter anderem, dass die Ausgänge aus dem Tribünenbereich nicht ausreichend dimensioniert sind. Der Bestandsschutz konnte somit nicht geltend gemacht werden.
Der Zuschauerbereich bietet Platz für 600 Personen und muss somit gemäß der VStättVO bewertet werden, verfügt allerdings nur über einen Ausgang, der das Mindestmaß von 1,20 Metern erfüllt. Die beiden anderen Ausgänge erfüllen diese Anforderung nicht, wonach mindestens einer der beiden ertüchtigt oder alternativ ein weiterer Ausgang ausgebildet werden müsste. Beide Alternativen hätten einen Austausch oder zumindest eine Erneuerung der Fassade zur Folge. Doch es gibt eine dritte, baurechtlich zulässige Alternative: der Nachweis, dass die baurechtlichen Schutzziele im Bestand trotz der abweichenden Ausgangsbreiten erfüllt werden. Dieser Nachweis erfolgt durch die computergestützte Räumungssimulation über einen Soll-Ist-Vergleich.
Im Rahmen der durchgeführten Räumungssimulationen wurden drei Ausgangskonfigurationen nach VStättVO untersucht.
Die dabei auftretenden Stauungen sowie die Gesamträumungszeit des untersuchten Bereiches wurden anschließend mit der Bestandssituation mit den bestehenden
Ausgangsbreiten verglichen. Für jede der vier Ausgangskonfigurationen wurden jeweils 50 Simulationsläufe durchgeführt, um ausreichend Daten für eine Statistik über die Räumungszeiten zu erhalten.
Als relevante Räumungszeit wird das 95-Perzentil verwendet. Dieser Wert bedeutet, dass die Räumungszeit in 95 Prozent der Fälle unterhalb dieses Wertes liegt. In diesem Beispiel liegt das 95-Perzentil der Räumungszeit mit etwa 366 Sekunden für die Bestandssituation unterhalb zweier der untersuchten VStättVO-konformen Situationen. Die Bestandssituation ist demzufolge als mindestens gleichwertig gegenüber den Vorgaben der VStättVO anzusehen. Somit konnte nachgewiesen werden, dass die Rettungswegsituation des Bestandsgebäudes den baurechtlichen Schutzzielen entspricht und weiterhin akzeptiert werden kann. Für den Bauherrn konnte damit eine wirtschaftliche Lösung erzielt werden – eine Ertüchtigung ist nicht erforderlich.