(K)eine haarige Sache
Innovative Idee reduziert bei Friseuren Müll und hilft auf unkomplizierte Weise gegen Ölverschmutzungen
Abgeschnittene Haare landen weltweit im Abfall der Friseursalons. Nur lange Zöpfe konnten bisher für die Perückenherstellung wiederverwendet werden. Nun hat sich in Frankreich seit 2015 unter dem Stichwort „Coiffeurs Justes” (faire Friseure) ein völlig neuer Trend entwickelt. Friseure im ganzen Land sind aufgefordert, ihre haarigen Abfälle einem umweltfreundlichen Recyclingprojekt zukommen zu lassen. Denn Haare können – abgefüllt in langen Schläuchen – bei Ölverschmutzungen effektiv zur Rettung der Umwelt beitragen. Über die Webseite von „Coiffeurs Justes” können sich die Salons anmelden.
Auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz können Friseure seit November 2021 über die Organisation „Hair Help” mit dem Einsammeln ihrer Abfälle zu einem sauberen Meer beitragen. Bisher landen die meisten Abfälle der rund 83.000 deutschen Friseursalons immer noch im Restmüll. Über die Webseite der Organisation können sich die Friseursalons als Partner anmelden.
Als angemeldete Partner-Salons sammeln sie den haarigen Abfall in Papiersäcken, die einmal im Monat abgeholt werden. Umgekehrt können umweltbewusste Kunden auf der Webseite nach Partnersalons suchen und so sicher sein, dass das Haar der Umwelt zugutekommt und nicht im Müll landet.
Positive Erfahrungen bei historischen Öl-Katastrophen
Die Idee, Haare gegen eine Ölpest einzusetzen, ist nicht ganz neu. Während der Exxon-Valdez-Ölkatastrophe vor Alaska im Jahr 1989 experimentierte ein Friseur im US-Bundesstaat Alabama mit Menschenhaaren in alten Damenstrumpfhosen und hatte bereits damals Erfolg. Auch 2010 kamen bei der Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko Schläuche mit Haaren zum Einsatz.
Am erfolgreichsten waren die gesammelten Haare bisher vor Mauritius im August 2020. Damals havarierte der japanische Frachter „Wakashio”, 1180 Tonnen Treibstoff traten aus und verschmutzten das Meer und die Strände. Dort saugten sich auch zum ersten Mal die Haar-Schläuche der französischen Organisation erfolgreich mit dem ausgetretenen Öl voll.
Bisher hatten sich nur wenige Forscher mit der Frage beschäftigt, ob Haare genauso gute Ergebnisse erzielen wie die übliche Methode mit Polypropylen. Dieser Kunststoff wird bisher bei Ölseuchen als Barriere eingesetzt. Polypropylen ist sehr effektiv, hat aber den Nachteil, dass es nicht abbaubar ist. Inzwischen hat die Umweltbiologin Megan Murray von der Universität of Technology in Sydney (Australien) die Eigenschaften der Haare genau untersucht und bestätigt, dass sie äußerst effektiv sind. Dabei sei es egal, um welche Haare es sich handelt. Im Labor verwendete die Forscherin ausschließlich gemischte Haare, da sie den Abfallprodukten aus den Salons entsprechen. Die Haarschläuche sind außerdem sehr effektiv. Sie saugen das Acht- bis Zehnfache ihres eigenen Gewichts auf und können außerdem bis zu zehn Mal gereinigt werden. Sie sind also mehrere Male verwendbar. Die Haarfilter sind außerdem vielseitig einsetzbar, vor Industriegebieten, an Küsten und an Stränden. In Südfrankreich saugen sie bereits in mehreren Häfen das Sonnenöl aus dem Wasser.
Die Umweltbiologin ist davon überzeugt, dass Forscher völlig neue Wege gehen und in Zukunft nach nachhaltigen Lösungen suchen müssen. Es sei unsinnig, Öl mit einem nicht abbaubaren Kunststoff zu bekämpfen. Das habe im Endeffekt wieder einen negativen Einfluss auf die Umwelt.
Ansprechpartner in Deutschland
Allerdings braucht man für Katastropheneinsätze große Mengen von Haaren. Auch die Logistik – die Lagerung der Schläuche und der Transport zum Katastrophenort – müssen genau geregelt sein. Die Forschungsergebnisse aus Australien und die zündende Idee aus Frankreich machen nun vielerorts Schule. In mehreren Ländern werden Einsammeln, Produktion der Schläuche und Lagerung nun professionell und branchenübergreifend organisiert.
In Deutschland nahmen der Unternehmer Thomas Keitel und der Friseur Emidio Gaudioso im vergangenen Jahr Kontakt zur französischen Organisation auf und ließen sich beraten. Anschließend bauten sie die deutsche Partnerorganisation Hair-Help auf. Seit November 2021 konnten sie bereits 270 Salons zum Mitmachen animieren.
Beide Initiatoren sind ausgesprochen umweltbewusst. Emidio Gaudioso setzt sich in seinem Salon in Bückeburg seit langem für Nachhaltigkeit ein. So spart er ganz bewusst an Wasser, während die Räumlichkeiten mit bepflanzten Wänden eine grüne Oase sind. Thomas Keitel berät seit vielen Jahren zahlreiche Friseursalons in Fragen der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. [ raa ]
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