Retter im Einsatz
Justin Weisang, stellvertretender Leiter der Rettungswache, und Lucas Hohmann, hauptamtlicher Notfallsanitäter, beide 27 Jahre alt, berichten von ihren Erfahrungen
Als hauptamtlicher Notfallsanitäter ist Justin Weisang auch stellvertretender Leiter der Malteser Rettungswache in Mainz. Am Einsatzort gilt es, die Situation einzuschätzen und ein Gespür zu entwickeln, ob Extremsituationen oder soziale Krisen zur Eskalation führen könnten, auch bei Angehörigen. Durchaus Verständnis hat er für Menschen, die sich über sich selbst ärgern und meist alkoholisiert sind, wenn sie ihn verbal angreifen.
Wichtig ist, Grenzen deutlich zu kommunizieren und aufzuzeigen. Mitunter gilt die Aggression auch nur seiner Uniform. Er wird zum Prellbock für manches, wofür sich einige auch entschuldigen. Null Akzeptanz dagegen hat er für extremistische Äußerungen, wenn sich jemand für besser hält und zuerst Hilfe erwartet, weil der andere vermeintlich weniger wert ist. Mit seiner Statur hat er früher nicht geglaubt, dass jemand gegen ihn körperliche Gewalt ausübt. Und dann passierte es doch, völlig unverhofft.
Retter mit Leib und Seele und dann noch das …
„Bisher traf mich nur ein körperlicher Angriff, allerdings mit großen Folgen. Der Mann war 48 Jahre alt, stark alkoholisiert und nahm Betäubungsmittel. Mitten an einem belebten Ort war er gestürzt. Während des Einsatzes ging der Patient plötzlich auf mich los und verletzte mich so schwer am Knie, dass ich vier Monate aus dem Dienst war.
Nach einem Jahr konnte ich ohne Hilfsmittel wieder meinen Alltag leben, kämpfe aber heute noch beim Sport damit. Weil mir finanzieller Schaden entstanden ist, klagte ich zivilrechtlich auf Schadensersatz und hatte nach fast zwei Jahren leider nicht das Gefühl, dass es für den Täter ernsthafte Konsequenzen durch das Urteil gab. Der Mann wurde zusätzlich strafrechtlich angezeigt.
Ich bekam Recht, allerdings bis heute kein Geld, da der Lebensunterhalt des Mannes unter der Pfändungsgrenze liegt. 30 Jahre habe ich auf das Geld Anrecht. Doch ich möchte mit dem Thema auch mal abschließen, denn das Ganze gestaltete sich für mich persönlich nervig genug.
Ich bekam Aufgaben aufgedrückt, die man nicht möchte, musste zu Gericht gehen, mich von Gutachtern untersuchen lassen, zahlreiche Berichte schreiben und vieles nachweisen. Es ging mir nicht in erster Linie um Geld, sondern darum, dass er merkt, dass er Mist gebaut hat und ich mit meinem eigenen Geld drauflegen musste. Strafrechtlich wurde er als Wiederholungstäter auch ’nur‘ zu einer Geldstrafe verurteilt. Ursprünglich wurde eine Haftstrafe gefordert, weil das Ganze eine besondere Schwere hatte.
Der Mann argumentierte mit Flucht und schwerer Kindheit, was möglicherweise ausschlaggebend war. Keine Frage, man muss selbst in den Spiegel schauen können, wenn man weiß, dass jemand ins Gefängnis kommt. Ich hätte mir gewünscht, dass er entsprechend unseren Gesetzen, an die wir uns alle halten müssen, eine Strafe in Form von Sozialstunden bekommt. Entschuldigt hat er sich bei mir nicht. Trotz allem mache ich meinen Job sehr gerne. Aber ich würde mir wünschen, dass unsere Gesellschaft über mehr Zivilcourage nachdenkt, denn es standen viele neugierige Menschen um uns herum. Keiner fühlte sich angesprochen. Nur mein Kollege kam mir als einziger zu Hilfe.“ [ sf ]
Ein dickes Fell hilft
Von Kind an wuchs Lucas Hohmann in seinen heutigen Job bei der Mainzer Rettungswache der Malteser hinein. Extreme Beleidigungen bei Einsätzen versucht er abzublocken und spricht eher über seine Vorsicht vor Ort und wie er Fluchtwege offenhält. Für nervige Zurufe, beispielsweise wenn Dritte alles besser wissen, hat sich Lucas Hohmann einen langen Geduldsfaden und ein dickes Fell antrainiert.
Um eine abschreckende Wirkung zu erreichen, appelliert er an Medien, nicht nur zeitnah einen Fall zu publizieren, sondern später zu hinterfragen, welche Konsequenzen das für Täter hatte.
Man darf keine Angst haben …
„Dreimal erlebte ich körperliche Gewalt. Einmal wurde unser Auto bei der Fahrt zur Klinik mit Silvesterraketen beschossen. Dann störte sich jemand daran, dass wir beim Einsatz an einer Tankstelle vor der Luftstation parkten. Der Patient war im Auto, ich orientierte mich über die Fahrtroute. Der ungeduldige Bürger klopfte an die Scheibe, ich öffnete und nach kurzer Schimpftirade spuckte er mir ins Gesicht. Spucken gilt als Körperverletzung. Ich bin nicht zivilrechtlich vorgegangen, weil man nie weiß, wie ein Gericht entscheidet. Verliert man, geht es ans Privatvermögen. Anders war es in Mainz, als wir zu einem Patienten gerufen wurden, der keine Hilfe wünschte. Bei der Verabschiedung holte er plötzlich aus und schlug mir heftig gegen den Kehlkopf. Das war schmerzhaft und es folgten drei Tage Krankenhaus und vier Wochen Krankschreibung. Dagegen bin ich zivilrechtlich vorgegangen und habe Recht bekommen. Man darf keine Angst haben, aber Eigenschutz steht im Vordergrund. Hilfreich sind für mich Gespräche mit Kollegen.“ [ sf ]