Krisenmanagement für die Frühphase der Katastrophe
So reißt die Kommunikation im Ernstfall nicht einfach ab / Aus dem Unglück im Ahrtal werden Lehren gezogen
„Lokales initiales Krisenmanagement“, kurz „lokik“, lautet der Titel eines Projekts, an dem seit 2021 gleich mehrere Abteilungen des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE in Wachtberg intensiv arbeiten. Ziel ist es, eine robuste und zuverlässige Plattform zu entwickeln, die in der Akutphase der Katastrophe ein unabhängiges Kommunikationsnetz und ein flexibles Lagebild zur Verfügung stellt.
Die Folgen der verheerenden Hochwasserkatastrophe, die im Juli 2021 insbesondere das Ahrtal traf, werden die Menschen in den betroffenen Regionen noch für Jahre, sogar Jahrzehnte beschäftigen. Bereits die ersten Stunden und Tage nach der Flut zeigten jedoch: Ohne Strom, Netz und Mobilfunk, abgeschnitten von der Außenwelt, fehlte den Bewohnern vor Ort ein Instrument, um in der Akutphase der Katastrophe effizient handeln zu können.
Plötzlich fällt das Kommunikationsnetz aus
Unter dem Eindruck dieser Ereignisse hat das Fraunhofer FKIE noch im Jahr 2021 das Projekt „lokik“ – kurz für „Lokales initiales Krisenmanagement“ – gestartet. Ziel ist es, eine robuste, zuverlässige Plattform zu entwickeln, mit deren Hilfe in der Frühphase einer Katastrophe ein unabhängiges Kommunikationsnetz und ein lokales Lagebild aufgebaut werden können. Neben zum Teil selbst von der Flut betroffenen FKIE-Mitarbeitenden aus mehreren Abteilungen und der Verwaltung beteiligen sich auch Bewohner des Ahrtals an dem Projekt, deren Erkenntnisse und Erfahrungen in die Ausarbeitung einfließen. Als Projektpartner unterstützen zudem die Gemeinde Mayschoß, die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Remagen sowie die Gemeinde Birresdorf das Vorhaben.
Insbesondere der Ausfall aller Kommunikationsnetze erschwerte es den Helfern in den Flutgebieten, sich im Chaos der ersten Stunden einen Überblick über die Schäden zu verschaffen, Einsätze zu priorisieren und zu koordinieren. „Unser Institut bietet seit vielen Jahren Lösungen für hochkomplexe, dynamische und risikoreiche Entscheidungsprozesse auf dem Gebiet der Sicherheit und der Verteidigung sowie bei kritischen zivilen Infrastrukturen an“, sagt FKIE-Forschungsgruppen- und Projektleiter Arne Schwarze.
Auf diesen Erfahrungen baut die „lokik“-Idee auf: Die Lösung setzt sich aus einer Hardware- und einer Softwarekomponente zusammen. Basis der Software bildet eine digitale Lagekarte, die die Infrastruktur eines Ortes, einer Gemeinde oder einer Stadt darstellt und über einen Browser per Smartphone, Tablet oder Computer abzurufen ist. Im Katastrophenfall können Bürger einen Schaden oder Bedarf, aber auch aktuelle Informationen in die Karte eintragen, sodass Krisenstab und Helfer schnell einen Überblick erhalten und ihre Einsätze besser koordinieren können. Fällt wie im Ahrtal das Kommunikationsnetz aus, kommt die Hardware-Komponente zum Einsatz. Sie ermöglicht den Aufbau eines autarken Netzwerkes, über das Endgeräte Zugriff auf die digitale „lokik“-Lagekarte haben, aber beispielsweise auch örtliche Krisenstäbe dringende Informationen an die Bevölkerung weitergeben können. Rechner und die mobil einsetzbaren Kommunikationskomponenten werden an einem sicheren Ort in der Gemeinde positioniert und im Katastrophenfall unabhängig von externer Technik mit einer eigenen Stromversorgung – von der handelsüblichen Powerbank bis hin zum Stromgenerator – in Betrieb genommen.
Trotzdem kein „Rundum-Sorglos-Paket“
Das „lokik“-Projekt läuft bis September 2023. Bis dahin wird die Plattform mehrfach in den beteiligten Städten und Gemeinden auf ihre Praxistauglichkeit getestet und kontinuierlich an die erhobenen Anforderungen und gewonnenen Erkenntnisse angepasst. „Das Ergebnis wird weder eine Rundum-Sorglos-Lösung sein, noch ein umfassendes Führungssystem speziell für Hochwasserkatastrophen“, macht Projektleiter Arne Schwarze deutlich. Es entstehe vielmehr eine für unterschiedliche Katastrophenszenarien vom Schneesturm bis zum Vulkanausbruch einsetzbare Lösung, die für die Betroffenen und die lokalen Kräfte handhabbar ist. Im Ernstfall werde weiter improvisiert, aber unter deutlich besseren Voraussetzungen. „Die Technik ist ausgefeilt, bleibt aber im Hintergrund – etwas, das einfach ist und funktioniert“, sagt Schwarze. Das „Lokale initiale Krisenmanagement“ sei zudem keineswegs als eine Art Insellösung des Fraunhofer FKIE zu verstehen, im Gegenteil: Mittels geeigneter Schnittstellen könne und solle „lokik“ andere Systeme ergänzen und unterstützen. Schwarze: „Auf diese Weise können wir einen langfristigen Nutzen von ‚lokik‘ im Fall einer Katastrophe sicherstellen.“
Weitere Informationen zum Projekt „lokik“: