Quartiersentwicklung in Rutesheim: Früher arbeiteten 730 Personen auf dem Gelände, das jetzt als neues Areal von Grund auf geplant wird.

Quartiersentwicklung in Rutesheim: Früher arbeiteten 730 Personen auf dem Gelände, das jetzt als neues Areal von Grund auf geplant wird.

2. Juni 2023

Der Königsweg zum Klimaschutz

Rutesheim wird zum Vorbild durch eigene Wärmeversorgung / Wichtiges Puzzleteil im Gesamtbild der Dekarbonisierung

Zum Meilenstein für den Schutz der Atmosphäre kann die Initiative einer kleinen Stadt werden. Rutesheim im Landkreis Böblingen nimmt die Wärmeversorgung in die eigene Hand. Der Königsweg zum Klimaschutz führt klar mitten durch die Kommunen. Denn die Art der kommunalen Energiegewinnung ist eine wichtige Stellschraube bei der CO2-Reduktion. Das Städtchen will sich daher selbst um die Nahwärmeversorgung eines Areals kümmern.

Mitten in der baden-württembergischen Stadt mit mehr als 11.000 Einwohnern ist der Gemeindeverwaltung ein Rohdiamant in die Hand gelegt worden, der noch geschliffen werden muss. Von der „Katastrophe“, die der vorherige Rathauschef durch die Aufgabe des Bosch-Standorts auf Rutesheim zukommen sah, zur Chance: Die Nachfolgerin Susanne Widmaier hat daraus einen „passgenauen Weg“ entwickelt, der Anklang im Gemeinderat gefunden hat. Jetzt muss er allerdings auch beschritten werden.

Mitten in der Stadt liegt der frühere Standort des Industrieunternehmens, den die Stadt erworben hat. Auf 27.000 Quadratmetern arbeiteten einst 730 Personen an der Herstellung von Lambda-Sonden für die Abgasregelung von Autos. Jetzt ist daraus ein Neubaugebiet entstanden, das eine dichte Bebauung vor allem mit Geschosswohnungen und guter Dämmung vorsieht. Ein Traum für jeden Anbieter der Nahwärmeversorgung, denn von Anfang an ist eine hundertprozentige Abnahme vorgesehen. Daneben steht ein großes Schulzentrum mit 2500 Schülern, die derzeit die notwendige Wärme zum Lernen durch ein Blockheizkraftwerk erhalten.

„Daraus entwickelte sich die Frage, wie das Bosch-Areal zu beheizen sei“, erläutert Bürgermeisterin Widmaier. Sechs Betreiber wurden angefragt. Schnell wurde erkennbar, dass es sich um ein „sehr attraktives Gebiet“ handelt, wie Widmaier berichtet. Da das Gebiet der Stadt gehört, kann der Bezug von Wärme in den Kaufverträgen geregelt werden. Eine sofortige Abnahme der Wärmeversorgung für alle Wohnungen entspricht der idealen Vorstellung jedes Anbieters. Zunächst hatten weder Verwaltung noch Gemeinderat eigene Stadtwerke im Blick – die Wärmeversorgung sollte an ein externes Unternehmen vergeben werden.

 

Der Vorentwurf für das Bosch-Areal ist fertig.

Der Vorentwurf für das Bosch-Areal ist fertig.

 

Die Beratung durch die Energieagenturen Böblingen und Ludwigsburg verhalf allerdings zu der Erkenntnis, dass es sinnvoll sei, die Wärmeversorgung in eigener Regie zu übernehmen. Denn dann würde das ausschließliche Interesse an Rentabilität entfallen. Es gibt weitere Vorteile: „Als Stadt können wir die Wärmeversorgung auch unter anderen Aspekten bewerten und sehen sie nicht nur unter monetären Gesichtspunkten“, erklärt Widmaier, „zum Beispiel sind uns die Energiequellen und die Anschlussmöglichkeiten für möglichst viele Bürger wichtig.“
Zu den städtischen Interessen zählt auch die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Rutesheim liegt im Einzugsgebiet von Stuttgart – einem der teuersten Wohnbereiche Deutschlands. Deshalb hat sich Rutesheim einen hohen Anteil an geförderten Wohnungen zum Ziel gesetzt. Vor allem Geschosswohnungen sollen entstehen, die komplett mit Tiefgaragen unterkellert sind. Eine gute Dämmung wird zu einer Förderung der Investitionskosten helfen.

Zudem geht es um die Frage, woher Wärme und Strom kommen, also ob sie umweltgerecht erzeugt wurden. „Wir wollen mit möglichst grüner Wärme beginnen“, ergänzt die Bürgermeisterin, „die Frage nach Strom ist noch offen.“ Interessant sieht es auch beim Wasser aus. Da wurde bereits eine Machbarkeitsstudie vergeben, die die Nutzung von Grauwasser zum Beispiel zur Toilettenspülung oder Bewässerung der Fassadenbegrünung prüft. „Wir haben einen Zweckverband Wasserversorgung mit Renningen und wir wissen heute schon, dass unser Trinkwasser in Zukunft knapp wird. Es ist daher wichtig, zu überlegen, wie wir Wasser sparen und wiederverwenden können“, schildert Widmaier die Lage. Auch wird überprüft, ob die „Fracht“ im Toilettenwasser als zusätzliche Energiequelle für die Wärmegewinnung dienen kann.

 

Entlang der Autobahn von Stuttgart nach Pforzheim könnte eine Fotovoltaikanlage das Wärmekonzept der Stadt Rutesheim unterstützen. Die Module auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern erbringen planmäßig 560.000 Kilowattstunden im Jahr.

Entlang der Autobahn von Stuttgart nach Pforzheim könnte eine Fotovoltaikanlage das Wärmekonzept der Stadt Rutesheim unterstützen. Die Module auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern erbringen planmäßig 560.000 Kilowattstunden im Jahr.

 

Dafür ist der „Rutesheimer Weg“ entwickelt worden. „Das ist eine passgenaue Lösung“, betont Widmaier. Denn Verwaltung und Gemeinderat wollen die Klimaneutralität nicht nur für eigene Gebäude, sondern für die gesamte Stadt vorantreiben. Der Gemeinderat hat den Beitritt zum Klimaschutzpakt von Baden-Württemberg gemeinsam beschlossen. Zahlreiche Klimaschutzprojekte sind seither auf dem Weg – viele mit Unterstützung aus der Bevölkerung. Ein jährlicher Energiebericht liefert vollständige Verbrauchsangaben für alle kommunalen Liegenschaften. Die Straßenbeleuchtung wurde bereits fast vollständig auf LED umgestellt – die verbleibenden Leuchten werden 2023 ausgetauscht. Fotovoltaikanlagen sind auf vielen Dächern bereits installiert, zum Beispiel auf Kläranlage und Schule, aber auch dort wird sukzessive weiter ausgebaut.

 

Im Übersichtsplan „Wärmenetz der Stadt Rutesheim“ ist der erste Abschnitt erkennbar.

Im Übersichtsplan „Wärmenetz der Stadt Rutesheim“ ist der erste Abschnitt erkennbar.

 

Die Stadt hätte gerne noch mehr unternommen: Entlang der Autobahn ist eine große Fotovoltaik-Anlage geplant – allerdings ohne Erfolg bisher, weil die verantwortliche Autobahn GmbH eine Umsetzung noch ablehnt. Das Hindernis: beispielsweise die Verkehrssicherheit. „Aber wir bohren dieses dicke Brett weiter“, kritisiert die Bürgermeisterin das formelle Vorgehen, denn wir möchten im zweiten Schritt die Fotovoltaikanlage in unser Nahwärmesystem einbinden.“ Durch das Einbinden von zahlreichen Unterstützern ist Bewegung in die Angelegenheit gekommen.
Als ungerecht empfindet es Widmaier, dass große Kreisstädte, für die es in Baden-Württemberg Pflicht ist, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen, die Kosten für dieses Gutachten zu 100 Prozent erstattet bekommen. Städte wie Rutesheim, die die Notwendigkeit sehen, Wärmequellen und Alter der Heizanlagen zu untersuchen, um die Ergebnisse in die Planung aufzunehmen, „sind offensichtlich ihrer Zeit voraus und müssen 20 Prozent der Kosten selbst tragen“, kritisiert sie.

Besonders schwierig wird es für Rutesheim auch mit dem Wärmepreisdeckel der Bundesregierung. Im ungünstigen Fall „muss die Stadt draufzahlen“, so die Bürgermeisterin, und das dürfe nicht sein, denn dann würden die Heizkosten der einen durch die Steuerabgaben der anderen Bürger subventioniert – und das in einer Zeit, in der auch der Preis von Holzpellets sehr stark gestiegen ist und der durch den Bund nicht bezuschusst wird.

Als Stadt, die von Wald umgeben ist, hat Rutesheim eigene Holzhackschnitzel. Der Energiemix im Quartier, für das auch ein Energiekonzept in Arbeit ist, wird im ersten Schritt viel auf Holz als Wärmequelle setzen. Wärmepumpen und Fotovoltaik kommen ergänzend hinzu.

Einen Tipp für Kommunen, die sich auf einen ähnlichen Weg machen wollen, hat die Bürgermeisterin auch: „Suchen Sie für die Beratung eine Unterstützung von jemandem, der keine eigenen Interessen mitbringt.“ Gute Erfahrung haben die Rutesheimer mit der Energieagentur der Kreise gemacht. Denn alle Kommunen können einen Beitrag zur umweltgerechten Wärmeversorgung ohne weiteren Ausstoß von Kohlenstoff leisten. [ dlu ]

Weitere Informationen:

Bürgermeisterin Susanne Widmaier

Mobil:    0152 31907289

s.widmaier@rutesheim.de   

Susanne Widmaier, Bürgermeisterin der Stadt Rutesheim

Susanne Widmaier, Bürgermeisterin der Stadt Rutesheim


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Tel. +49 7152 5002-1050
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17. April 2024


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