„Wiederholt nicht unsere Fehler!“
Aufklärung und Prävention gegen Gewalt an Schulen ein Muss: Wie Schüler von den Erfahrungen eines ehemaligen Kämpfers aus dem Libanon lernen
Gewalt an Schulen, sei es gegen Mitschüler, Lehrer oder Schulsozialarbeiter, gehören mittlerweile zum Alltag an deutschen Schulen und zunehmend auch im öffentlichen Raum. Das stellt Kommunen vor große Herausforderungen. Dabei stellt sich auch immer wieder die Frage, wie es zu solchen Gewaltexzessen mit zum Teil tödlichen Auswirkungen kommt. Sehr schnell landet man in diesem Zusammenhang beim Thema Radikalisierung. „Radikalisierung? Das könnte mir nie passieren!“ – ein landläufiger Irrglaube.
Das erlebten Schüler am Berufsschulzentrum Künzelsau am eigenen Leib. Im Workshop namens „XGames“ erfuhren sie, wie leicht und schnell sie sich aufhetzen und zu Entscheidungen und Handlungen hinreißen lassen, die zum Schaden bis hin zum Tod Unschuldiger führen könnten – ohne Unrechtsbewusstsein des „Täters“.
In einem Folgeworkshop reflektierten die Schüler ihre Erfahrungen und diskutierten diese mit Ziad Saab, einem ehemaligen Kämpfer aus dem Libanon. Dieser ließ sich selbst als 14-jähriger radikalisieren und kämpfte bis zum Alter von 32 im libanesischen Bürgerkrieg. 18 Jahre lang waren Waffen und Feuergefechte Alltag für ihn. Ihm wurde seine Jugend gestohlen, so der heute 65-Jährige.
“Don’t repeat our mistakes!“ Das gab er den Schülern mit auf den Weg und erzählte aus seinem Leben. Er selbst stammt aus einfachen Verhältnissen, wuchs in einem Bauerndorf im Südlibanon auf. Seine Familie zog nach Beirut auf der Suche nach einem besseren Leben – und landete in einer armen Gegend um die Hauptstadt. Strom und Wasser waren damals noch vorhanden. Schulbildung jedoch gab es in diesen Vierteln keine. An dieser Ungerechtigkeit wollte er etwas ändern. Und diese zunächst guten Motive wurden ausgenutzt, so dass er glaubte, diese Ziele nur mit Gewalt erreichen zu können. Heute gibt es immer noch keine Schulen – Strom nur noch zeitweise und Wasser muss teuer flaschenweise gekauft werden. Insgesamt, so erzählt er den Schülern, habe sich die Lebensqualität für alle verschlechtert. Ein Fluchtversuch nach Deutschland scheiterte.
Zusammen mit Gleichgesinnten, die sich in verschiedenen Milizen früher als Feinde gegenüber standen, und der deutschen Journalistin Christina Foerch-Saab gründeten sie den libanesischen Verein „Fighters for Peace“. Sie besuchen Schulen im Südlibanon im Einflussbereich der Hisbollah. Und mittlerweile sehen sie auch Deutschland als wichtiges Betätigungsfeld an, weshalb sie begonnen haben, ihre mahnende Botschaft auch hier zu verbreiten.
An Schulen sind Aufklärung und Präventionsprogramme enorm wichtig
Außerdem gab Saab der Politik, den Bürgermeistern, den Lehrern, Schülern und der Schulsozialarbeiterin Panagiota Panoria mit auf den Weg, dass die deutsche Gesellschaft achtgeben müsse, weil sie viele traumatisierte Menschen ins Land lasse, die zum Teil radikalisiert seien und diese Überzeugungen mitbrächten; er fürchtet um den sozialen Frieden in Deutschland und dass die aufnehmende Gesellschaft zunehmend Gefahr läuft, dieselben Zustände zu erleiden, wie sie in den Ländern herrscht, aus denen die Flüchtlinge stammen. Aus seiner Sicht stehen daher psychologische Betreuung, Aufklärung und Präventionsprogramme im Vordergrund – und nicht die Streichung ihrer Finanzmittel. Präventionsprogramme wie sie die Schul-
sozialarbeiterin aufgreift und in die von ihr betreuten vier Schulen in Öhringen und Künzelsau einbringt – so etwa auch Angebote des konex-Partners Stiftung Weltethos.
Die vom Tübinger Theologen Hans Küng gegründete Stiftung bietet eine Reihe von Hilfestellungen für Schüler und Lehrer und arbeitet dabei eng mit der Kriminalprävention Konex des Landes Baden-Württemberg zusammen. Finanziert wird das Programm unter anderem von der Robert Bosch Stiftung.
In diesem Rahmen führte der Autor dieses Artikels den Impulsworkshop „Du bist gefragt!“ durch, bei dem es um Toleranz und Wertevermittlung geht. Dass solche Werte dringend vermittelt werden müssen, weiß auch Marcus Beisteiner vom Elektro-Ausbildungszentrum in Mühlacker. Für ihn sind Werte mittlerweile essenzieller Bestandteil der beruflichen Ausbildung. Ohne solche Werte, sagt er, werde es immer schwerer, Menschen für eine berufliche Laufbahn vorzubereiten. „Wir haben mittlerweile nicht nur einen Fachkräftemangel, wir haben einen Kräftemangel. “
„Dies hat auch die Pädagogische Hochschule Heidelberg aufgegriffen und bietet eine akademische Weiterbildung mit dem Titel „Extremismus und Radikalisierung – Handlungskompetenz für die Bildungsarbeit“ für pädagogische Fachkräfte an, ein Zertifikatskurs, der über die Landesinitiative Hochschulweiterbildung@BW vermarktet wird“, wie die zuständige Regional- und Fachvernetzerin Meike Habicht ergänzt. Roland Ruisz
Inside Out e.V.:
Inside Out e.V. ist ein in Stuttgart ansässiger Verein, gegründet im Jahr 2018.
Der Verein entwickelt unter dem Motto „Prävention durch Bildung. Forschung. Kunst“ Programme zur politischen Bildung und Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Extremismus und Radikalisierung.Nähere Infos unter: www.io-3.de
Projekt der Stiftung Weltethos „Du bist gefragt!“:
Immer mehr junge Menschen empfinden eine große Distanz zum politischen System, sehen ihre Anliegen nicht berücksichtigt und keine Möglichkeiten zur Teilhabe. In dieser Situation ist die Fähigkeit umso wichtiger, konstruktive Debatten zu führen, Perspektivwechsel zuzulassen, andere Meinungen auszuhalten und mit Mehrdeutigkeiten umzugehen, statt nach einfachen Antworten zu suchen.
Schulen können ihre Teilnahme am Radikalisierungspräventionsprogramm „Achtung?!“ kostenlos buchen. Eine Buchung außerhalb davon ist bundesweit mit einem Unkostenbeitrag direkt bei der Stiftung Weltethos möglich.
Nähere Infos unter: www.weltethos.org
Zu Bildung und Gesellschaft siehe auch: www.konex-bw.de/achtung
Vortrag „Don’t repeat our mistakes“ am 17. Juni 2024:
An der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg referiert der Journalist Roland Ruisz über ethische Aspekte und Konzepte gegen Radikalisierung in Schule und Gesellschaft.
Beginn: 16 Uhr