Umweltbewusst wohnen und leben
In Crailsheim wird die Sonnenenergie das ganze Jahr über genutzt
Die Kommunen können einen großen Beitrag zur Stabilisierung des Klimas leisten. Ihre Chance liegt in der Regionalität. Besonders wichtig ist es allerdings, dass sie eng mit den jeweiligen Stadtwerken zusammenarbeiten. „Nähe schafft Verbundenheit“ lautet das Motto in Crailsheim. Im fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württembergs, genauer gesagt in Hohenlohe, ist ein außergewöhnliches Beispiel entstanden: Wohnen mit Sonne ist in einem Stadtteil das ganze Jahr über möglich. Denn das Projekt ermöglicht umweltbewusstes Wohnen.
Das gesamte Wohngebiet Hirtenwiesen II wird von den Stadtwerken Crailsheim mit Sonnenwärme versorgt. Die Sonne trägt bis zu 50 Prozent am Energiemix bei. Wohnen auf der sonnigen Seite hat eine große Anziehungskraft. Dabei gab es bei den Planungen und Vorbereitungen durchaus manchen Schatten in den Diskussionen, aber „man darf keine Scheu haben, über unliebsame Themen zu sprechen“, berichtet Eva Reu, Leiterin der Crailsheimer Planungsabteilung.
Das war beispielsweise bei der Anschlussplanung der Fall. Besonders wichtig erscheint ihr die Zusammenarbeit innerhalb der Kommunen, um eine Sensibilisierung für die unterschiedlichen Positionen zu bekommen. „Das Verständnis füreinander fehlt oft“, sagt sie aus Erfahrung. Insbesondere Stadtplaner und Versorgungstechnik muss man zusammenbringen, betont sie deshalb.
Viele Besonderheiten kennzeichnen das Projekt. Ausnahmsweise geht es nicht um die Größe der Anlagen. Stattdessen hat man sehr früh mit der klimafreundlichen Umsetzung begonnen und einen hohen Deckungsanteil an regenerativer Energie erreicht. „Viele Rahmenbedingungen haben vor zwei Jahrzehnten gepasst“, berichtet die Stadtwerkeplanerin. Das sind wichtige Betriebserfahrungen, die sich seitdem angesammelt haben.
Die Komplexität solcher Anlagen ist hoch. Die Anforderungen an die Betriebssicherheit sind es ebenfalls. Deshalb ist die Grundlage von allem eine gute Regelungstechnik, um eine hohe Effizienz zu gewährleisten. „Die Zusammenarbeit auf allen Ebenen war entscheidend“, erklärt Reu den Lerneffekt.
Technisch höchst interessant ist der erreichte Effizienzgrad. Aktuell wird mit einem Speicherverlust von etwa 50 Prozent gerechnet – Experten sehen darin einen hohen Wert. Verbesserungspotenzial sieht Reu in einer Erweiterung der Netze. Wenn der Überschuss aus der Solarthermie direkt in die Grundlast eingebracht werden könnte, dann würde sich die Gesamteffizienz erhöhen. Nach zehn Jahren Bauzeit ist die Anlage vor einem Jahrzehnt in Betrieb genommen worden. Damals achtete man vor allem auf die solare Deckungsquote, während man heute eine vielfältige Nutzung anstrebt und die Transformation der gesamten Wärmenetze im Blick hat.
Besonderheit Speicher
Einzigartig machen die Anlage Hirtenwiesen die umgesetzten Speichertechniken. Innovativ hat man auf einen Kurzzeitspeicher und einen Langzeitspeicher gesetzt.
Kurzfristig kommt die Wärme vom Lärmschutzwall. Der wurde bei der Neuerschließung wegen eines Gewerbegebiets erforderlich. Die schlaue Flächennutzung hat Lärmschutz und Wärme zusammengebracht. Auf dem Wall entstanden zwei Solarthermieprojekte, die ursprünglich 2000 Haushalte mit 4000 Megawattstunden (MWh) Wärme versorgen sollten, inzwischen liefern sie 7000 MWh. Zusammen mit dem Wall ist ein Naherholungsgebiet entstanden. „Ich finde es richtig toll“, schildert Reu ihren Eindruck von den Chancen für Mensch und Natur. Die Verankerung der Anlage war technisch hingegen nicht einfach. Auf einem Wall wurden Betonpfähle genutzt, auf einem anderen eine Betonfläche, die sich als bessere Alternative herausgestellt hat.
Als Vorgabe war definiert worden, dass die Hälfte des Gesamtwärmebedarfs mit Solarthermie zu decken ist. Berechnungen ergaben dafür einen Bedarf von 20.000 Kubikmetern Wasservolumen – das erforderte einen neuartigen Speichertyp. Entwickelt wurde der saisonale Speicher, der die im Sommer gewonnene Wärme sammelt und sie im Winter abruft.
Im Abstand von drei Metern wurden 80 Bohrungen mit je 55 Metern Tiefe gesetzt. In die Bohrlöcher wurden Erdwärmesonden eingebaut. Es entstand einer der größten Wärmespeicher Deutschlands. Im Sommer erwärmt das Kollektorfeld Wasser, das durch die Bohrlöcher strömt und seine Wärme an Muschelkalk- und Keuperschichten abgibt. Sie kann im Winter genutzt werden, indem kälteres Wasser durch die Rohre gepumpt wird und sich erwärmt.
Die Solarthermieanlage erzeugt jährlich mehr als zwei Millionen Kilowattstunden thermische Energie und spart 200.000 Liter Heizöl – ohne Schadstoffausstoß. Damit wird die Umwelt von mehr als 900 Tonnen Kohlendioxidemissionen jährlich entlastet. Der Lerneffekt führt zu einer klaren Rangfolge für das Vorgehen bei solchen Projekten. „Am Anfang muss man technologisch offen herangehen“, erzählt Reu. „Es gibt keine Standardlösung, danach müssen die Funktion und schließlich die Wirtschaftlichkeit geprüft werden.“ Deshalb kann man am besten von bestehenden Projekten lernen. „Wir haben Interessenten ohne Ende, aber wir geben unsere Erfahrungen gerne weiter“, betont Planerin Reu. [ dlu ]
Weitere Informationen zum Crailsheimer Projekt:
Eva Reu, Dipl.-Ing. (FH), Leiterin Planung: eva.reu@stw-crailsheim.de
Tel.: +49 7951 305-373, Fax: +49 7951 305-319