Luftbild der Mainzer Kläranlage Mombach, die eine vierte Reinigungsstufe erhalten wird.

In der Luftansicht wird der breite Einsatz des Mainzer Klärwerks Mombach für die Umwelt sichtbar. Mit dem Projekt „Arrived“ will man in Mainz zudem die vierte Reinigungsstufe realisieren, die eine Kombination aus Ozonung und granuliertem Aktivkohlefilter (GAK) umfasst.

6. Juni 2024

Vom Energiefresser zum Stromlieferanten

Das Mainzer Klärwerk liefert sauberes Wasser und grüne Energie / Engagiert für das Klima und den Gewässerschutz

Kläranlagen sind Energiefresser. Das entspricht ihrer Aufgabe. Wer behauptet, dass sie ihre Aufgabe energieneutral erfüllen können, der scheint einen außergewöhnlichen Durchbruch gemacht zu haben. In Mainz, einer heimlichen Klimahauptstadt, ist es gelungen, diesen umweltpolitischen Meilenstein zu erreichen. Unter Beachtung der physikalischen und betriebswirtschaftlichen Größen ist es dem Wirtschaftsbetrieb Mainz AöR im Klärwerk Mombach gelungen, „bilanziell energieneutral“ zu arbeiten, erklärt Herbert Hochgürtel, Leiter Zukunftstechnologien, beim Wirtschaftsbetrieb Mainz im Interview mit KOMMUNALtopinform. Die Fragen stellte Georg Dlugosch an den 70-Jährigen, der zwar längst in Rente sein könnte, aber noch einen weiteren Zwei-Jahres-Vertrag hat, um dem eigenständigen Wirtschaftsbetrieb die Sicht auf Zukunftsfragen losgelöst vom täglichen operativen Geschäft und daraus folgend eine gute Strategie zu ermöglichen.

 

Welche Rolle kommt den Kommunen bei der Bewältigung der Klimakrise zu?

Hochgürtel: Kläranlagen sind häufig die größten Energieverbraucher einer Kommune. In Mainz jedoch leistet der Wirtschaftsbetrieb Mainz AöR durch energieneutrale Abwasserreinigung einen bemerkenswerten Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Angesichts der bevorstehenden Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie durch den EU-Trialog im Januar 2024 werden verstärkt Maßnahmen zur Nutzung regenerativer Energien gefordert sowie eine Reduzierung des Nährstoffeintrags ins Gewässer und die Eliminierung von Spurenstoffen aus dem Abwasser. Auch die Wasserwiederverwendung und das Niederschlagswassermanagement werden künftig eine größere Rolle spielen.

 

Wie viele Kläranlagen können schon von sich sagen, dass sie energieneutral arbeiten?

Mainz hat durch eine Vielzahl von Maßnahmen wie Klärgas (Biogas), Photovoltaik (PV), Klärschlammverbrennung und andere energetische Effizienzmaßnahmen bereits bilanzielle Energieneutralität erreicht. Während es auf klassischen Kläranlagen schwierig ist, diese zu erreichen, gibt es auch in Deutschland einige, die durch PV oder Wasserkraft sowie Energieeffizienzmaßnahmen dieses Ziel erreicht haben. Anlagen wie in Hamburg oder Bremen, die über Windkraftanlagen verfügen, sind sogar Energie-Plus-Anlagen. Bereits seit 2003 ist die Kläranlage Mainz EMAS- und ISO-14001 zertifiziert. Durch dieses Umweltmanagementsystem haben wir uns immer wieder neue Ziele gesetzt.

 

Herbert Hochgürtel, Leiter des Bereichs Zukunftstechnologien beim Wirtschafts-betrieb Mainz AöR, im Gespräch mit einem Mitarbeiter

Herbert Hochgürtel, Leiter des Bereichs Zukunftstechnologien beim Wirtschaftsbetrieb Mainz AöR, in seinem Element: Der Leiter Zukunftstechnologien plant in der Messwarte im Gespräch mit dem Schichtleiter die zukünftige vierte Reinigungsstufe.

 

Ein konkretes Beispiel dafür ist das Projekt „Arrived“ des städtischen Wirtschaftsbetriebs Mainz.
Wie sieht die Zielsetzung aus?

Das Projekt „Arrived“ zielt darauf ab, die vierte Reinigungsstufe in Mainz zu realisieren, die eine Kombination aus Ozonung und granuliertem Aktivkohlefilter (GAK) umfasst. Ursprünglich war geplant, den für die Ozonung benötigten Sauerstoff aus eigener regenerativer Überschussenergie und aus Sekundärregelleistung mit einer 1,25-MW-Elektrolyse selbst zu produzieren. Obwohl die Elektrolyse vorerst aus Kostengründen zurückgestellt werden musste, wird die vierte Reinigungsstufe voraussichtlich Ende 2026 als erste deutsche großtechnische Kombination aus Ozonung und GAK mit 400.000 Einwohnerwerten in Betrieb genommen.

 

Als umweltpolitischer Meilenstein wird das Mainzer Klärwerk zu einer der modernsten Anlagen in Deutschland. In welcher Phase steht die Umsetzung?

Diese Definition stammt nicht vom Wirtschaftsbetrieb Mainz. Mainz hat in den vergangenen Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen und bereits einige umweltfreundliche Projekte realisiert. Neben der Inbetriebnahme einer energieeffizienten Klärschlammverbrennungsanlage im Jahr 2022 wird die geplante vierte Reinigungsstufe eine weitere wegweisende Maßnahme sein.
Im Jahr 2022 wurde in Mainz auf dem Gelände der Kläranlage eine äußerst effiziente Klärschlammverbrennungsanlage in Betrieb genommen, die zu den energieeffizientesten ihrer Art zählt. Dies ermöglicht es Mainz, erhebliche Mengen an CO2-Emissionen zu sparen, da der Klärschlamm direkt vor Ort thermisch verwertet wird, ohne lange Transportwege zu benötigen.
Die geplante vierte Reinigungsstufe wird eine wegweisende Neuerung darstellen. Sie wird die erste großtechnische Kombination aus Ozonung und granuliertem Aktivkohlefilter (GAK) in dieser Größe sein und voraussichtlich Ende 2026 in Betrieb genommen werden. Um sicherzustellen, dass diese Reinigungsstufe ebenfalls energieneutral betrieben werden kann, werden in den nächsten zwei Jahren zusätzliche Photovoltaik-Anlagen auf dem Gelände der Kläranlage installiert.
Da der Energieverbrauch einer Kläranlage stark variieren kann, abhängig von Trockenwetter- oder Regenperioden, und die Stromerzeugung durch verschiedene Quellen wie Klärgas-Blockheizkraftwerke, PV-Anlagen und die Überschussenergie der Klärschlammverbrennungsanlage ebenfalls volatil ist, plant Mainz zusätzlich die Installation eines 3,5-MW-/3,6-MWh-Batteriespeichers in den kommenden zwei Jahren. Dieser Speicher wird dazu beitragen, die Eigenbedarfsoptimierung zu verbessern, Lastspitzen zu kappen, eine Notstromreserve bereitzustellen und möglicherweise sogar den Primärregelmarkt zu bedienen.

 

Schematische Darstellung der vierten Reinigungsstufe in der Kläranlage Mainz Mombach

Für die geplante vierte Reinigungsstufe im Mainzer Klärwerk Mombach ist eine Photovoltaik-Anlage über den Becken vorgesehen.

 

Welche Erfahrungen haben Sie eingebracht?

Seit den ersten Ideen der aufgeführten Projekte habe ich diese begleitet. Bei all den Projekten ist Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Bestandteil, um Unwissenheit und Sorgen auszuräumen. Planungen und Genehmigungen von Anlagen können als öffentlicher Auftraggeber längere Zeit in Anspruch nehmen. Zudem stellt die Kostenexplosion bei der öffentlichen Ausschreibung kleiner Elektrolyseure mit zum Beispiel 1,25 MW beim zurzeit existierenden Wasserstoff-Hype die Vorreiter vor Probleme. Die Bearbeitung und Planung eines eigenen Elektrolyseurs hat viele Erkenntnisse gebracht. Weiterhin waren viele zusätzliche, vorher unbekannte Schritte notwendig. Sauerstofferzeugung und Nutzung wie auch die Wasserstoffnutzung sind absolutes Neuland.

 

Was raten Sie anderen Kommunen für die Vorgehensweise?

In Mainz handeln wir schon seit Jahren mit einem vorausschauenden Blick. Im operativen Alltag fehlt den Verantwortlichen oft die Zeit für zukunftsweisende Maßnahmen. Sich mit anderen Kommunen in Form von Benchmarking zu vergleichen, bringt viele Erkenntnisse. Als Quasi-Rentner kann ich mich heute um die Dinge kümmern, an denen wir früher oder später nicht vorbeikommen.
Es ist ratsam, interessierte Mitarbeiter für Zukunftstechnologien zu gewinnen. Frühstarter haben oft die Möglichkeit auch Förderungen zu erhalten. Wir haben beispielsweise schon 2007 die Veränderungen bei der Behandlung des Klärschlamms wahrgenommen und nach intensiver Recherche dann mutig die Entscheidungen getroffen. Das ist natürlich mühsam. Durch Gesetzgebungen werden wir teils zu neuen Maßnahmen gezwungen, aber man kann auch Spaß daran finden. Und wir erhalten in Mainz für unsere Vorgehensweise viel Anerkennung. Unsere Erfahrungen geben wir gerne weiter.

 

Können Sie uns mehr über die vierte Reinigungsstufe im Klärwerk Mombach berichten?

Eine vierte Reinigungsstufe entlastet die Gewässer, aus denen auch über Uferfiltrat Trinkwasser gewonnen wird, von Spurenstoffen – also Mikroschadstoffen, Pharmazeutika, Kosmetika, Antibiotikaresistenzen und Mikroplastik. Allein in Mainz findet sich zum Beispiel der Wirkstoff von 270 Tuben Diclofenac pro Tag im zulaufenden Schmutzwasser. Nach der heutigen Reinigung fließt immerhin noch der Wirkstoff von 100 Tuben pro Tag in den Rhein. Diese Belastung kann durch die zukünftige vierte Reinigungsstufe deutlich vermindert werden. Mit einem Ozongenerator macht man aus O2 die chemische Verbindung O3, dies bewirkt zum Beispiel beim Diclofenac eine Aufspaltung zu weniger wirksamen Spurenstoffen. Mithilfe von granulierter Aktivkohle können sie dann rausgefiltert werden. Es ergeben sich sehr hohe Abscheideraten durch das Kombiverfahren. Wenn auch teurer, so ist der Reinigungseffekt doch besser. Weiterhin wird durch die deutliche Reduzierung der unterschiedlichen Spurenstoffe der gesamte aquatische Bereich entlastet, beispielsweise wird die Verweiblichung von männlichen Fischen durch Hormone nachweislich vermindert.

 

Was hat sich bei der Planung jetzt geändert?

Die vierte Reinigungsstufe wird wie geplant als Kombination gebaut, lediglich die vorgesehene Elektrolyse wird aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten derzeit zurückgestellt. Hierzu gibt es eine Förderung vom Land Rheinland-Pfalz in Höhe von 6,5 Millionen Euro und eine Zusage zu weiteren vier Millionen Euro. Das Gesamtprojekt wird auch durch das Umweltinnovationsprogramm des Bundesumweltministeriums mit 6,6 Millionen Euro gefördert. Durch den derzeitigen Wegfall der Elektrolyse fehlt ein Baustein bei der Ausführung. Dies führt zu einer Überprüfung des Förderbescheides.

 

Schematische Darstellung über den Ablauf der vierten Reinigungsstufe in der Mainzer Kläranlage Mombach. Diese wird wichtige Ergänzungen für die Umwelt bringen.

Schematische Darstellung über den Ablauf der vierten Reinigungsstufe in der Mainzer Kläranlage Mombach. Diese wird wichtige Ergänzungen für die Umwelt bringen.

 

Behält die vierte Reinigungsstufe dennoch ihre Vorreiterrolle?

Die geplante vierte Reinigungsstufe ist ein Leuchtturmprojekt. Denn sie ist derzeit in Deutschland die erste großtechnische Kombination von Ozonung und granuliertem Aktivkohlefilter, eine Umsetzung in dieser Größenordnung ist ein Novum. In Baden-Württemberg gibt es mehrere Anlagen, die mit Pulveraktivkohle arbeiten. In Nordrhein-Westfalen gibt es einige Anlagen, die nur mit der Ozonung ausgerüstet sind. Die Kombination aus Ozonung und granulierter Aktivkohle wird trotz höherer Investitionskosten als Königsweg in Fachkreisen bezeichnet. Wie auch Versuche auf einer Pilotanlage zeigen, sind niedrigere Ozonraten notwendig, und die Standzeiten der granulierten Aktivkohlefilter werden deutlich länger. Dadurch hat die Anlage einen deutlich niedrigeren spezifischen Carbon-Foot-Print als Einzelverfahren.
Die Hoffnung auf einen Elektrolyseur bleibt. Eine BImSchG-Genehmigung liegt vor, die Wasserstofftankstelle des Verkehrsverbundes Mainz Wiesbaden ist auf dem Kläranlagengelände im zweiten Halbjahr 2024 vorgesehen. Der Anbindung an das Gasnetz steht nichts im Weg. Der Absatzweg für Wasserstoff wäre gesichert. Denn H2 kann man nicht einfach in die Umwelt ablassen, O2 hingegen schon, jedoch würde dieses für die Ozonung benötigt.

 

Wie funktioniert die Gewinnung von Sauerstoff beziehungsweise Wasserstoff durch Elektrolyse?

Bei einer Elektrolyse werden aus sauberem Wasser durch Anlegen von Gleichspannung am Plus- und Minuspol entsprechend Sauerstoff beziehungsweise Wasserstoff erzeugt. Wird die Gleichspannung mit Hilfe einer regenerativen Energie erzeugt, dann sind Wasserstoff und Sauerstoff grüne Speichergase. Hat eine Kläranlage zum Beispiel zeitweise Energie übrig oder steht Sekundärregelenergie im Stromnetz zur Verfügung, so kann diese Energie zur Gewinnung von grünen Speichergasen „Power-to-Gas“ genutzt werden. Auf die Nutzung des Sauerstoffs wurde in der Vergangenheit kein Wert gelegt, somit ist die Produktion von Sauerstoff in der Elektrolyse mit einem Druck von zum Beispiel 30 bar in den Hintergrund gerückt, das bedeutet zur Speicherung und Nutzung von Sauerstoff sind teure energieintensive Spezialverdichter notwendig.

 

Wie wird der produzierte Wasserstoff verwendet?

Der Plan war, eigenen grünen Wasserstoff bis zu 40 Prozent der Menge mit zwei Prozent in das Erdgasnetz einzuspeisen. Der verbleibende Anteil des grünen Wasserstoffs wird je nach Nachfrage an einer Wasserstofftankstelle auf dem Kläranlagengelände öffentlich für die Mobilität angeboten. Geplant ist, im zweiten Halbjahr 2024 auf dem Gelände der Kläranlage die Wasserstofftankstelle des Verkehrsverbundes Mainz-Wiesbaden in Betrieb zu nehmen, die derzeit noch in Wiesbaden installiert ist. Der benötigte Wasserstoff wird aus dem Energiepark Hechtsheim der Mainzer Stadtwerke AG geliefert. Die H2-Tankstelle wird vorerst von fünf Bussen der Mainzer Verkehrsgesellschaft, vier städtischen Müllfahrzeugen und gegebenenfalls öffentlichen Lastkraftwagen und Personenkraftwagen genutzt.

Dieses Interview führte Georg Dlugosch.

 

 

Für Rückfragen:

Herbert Hochgürtel, Leiter Zukunftstechnologien
Tel.: +49 61 31 9715211, Fax: +49 61 31 9715 214
herbert.hochguertel@stadt.mainz.de

 

 

Weitere Informationen:

www.gwf-wasser.de/branche/mainzer-klaeranlage-fortschritt-durch-vierte-reinigungsstufe-und-engagement-fuer-gewaesserschutz

www.energieagentur.rlp.de/info/die-energieagentur-informiert/aktuelle-meldungen/aktuelles-detail/sauberes-wasser-und-gruene-energie

 

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15. Januar 2025


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