Als der Mensch zum Künstler wurde
Eiszeitkunst auf der Schwäbischen Alb

Vor rund 40.000 Jahren betrachtete ein Mensch auf der Schwäbischen Alb die langen Stoßzähne eines erlegten Mammuts und wurde inspiriert. Wir wissen nicht, ob es eine Frau oder ein Mann war – wir wissen nur, dass hier in dieser Epoche der Grundstein für das künstlerische Schaffen gelegt wurde. Dieser Mensch nahm ein Stück des Elfenbeins und schnitzte daraus eine kleine Mammutfigur. Ein anderer Zeitgenosse hatte offenbar bereits Schilfrohren wunderbare Töne entlocken können. Nun nahm er ein Stück Elfenbein und schnitzte eine Flöte. So entstanden die wahrscheinlich ersten Skulpturen und Musikinstrumente der Menschheitsgeschichte.
Selbst die ältesten Funde in Ägypten sind „nur“ 35.000 Jahre alt. Dort, wo sich die Schwäbische Alb dem Alpenvorland zuneigt, hat sich also vor 40.000 Jahren ein gewaltiger Sprung in der Entwicklung hin zum modernen Menschen ereignet. In der Region nahe Ulm, im Alb-Donau-Kreis und im Landkreis Heidenheim fing der eiszeitliche Mensch an, figürliche Darstellungen von Tieren und Menschen sowie die weltweit ersten Musikinstrumente zu erdenken und zu erschaffen.
Sechs Höhlen in zwei Tälern
Das Gebiet bot diesen ersten Künstlern viel Schutz, denn es ist voller Höhlen. Einige sind gut versteckt, andere leicht zugänglich. Über Tausende von Jahren waren sie die natürlichen Wohnstätten der ersten Siedler nördlich der Alpen. Das hinterließ in und um die Höhlen natürlich Spuren. Archäologen und Forscher werden hier immer wieder fündig.
2017 wurden sechs dieser Höhlen in den Tälern der Flüsse Ach und Lone von der Unesco in die Welterbeliste aufgenommen, da man hier die ältesten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte gefunden hat. Jede dieser sechs Höhlen hat ihre Besonderheiten. In der Höhle Geißenklösterle im Alb-Donau-Kreis fanden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Ausgrabungen statt, die zur Jahrtausendwende fortgesetzt wurden.
Neben den üblichen Stein- und Knochenartefakten des Aurignaciens (43.000 bis 34.000 Jahre vor heute) stammen aus dem Geißenklösterle vier Elfenbeinfiguren: ein Mammut, ein aufrechtstehender Bär, ein Wisent und das Halbrelief einer menschlichen Figur auf einer Elfenbeinplatte, der sogenannte Adorant. Daneben gibt es Fragmente von zwei nicht näher bestimmbaren Figuren. Vervollständigt wird das besondere Fundensemble durch drei Flöten – zwei aus Vogelknochen und eine aus Mammutelfenbein.
Die Höhle „Hohle Fels“ liegt nordöstlich von Schelklingen. Hier fanden die Forscher die berühmte Frauenfigur „Venus aus dem Hohle Fels“. Außerdem fanden sie eine Flöte, die aus dem Knochen eines Gänsegeiers geschnitzt ist, und die Figur eines Wasservogels. All diese Artefakte sind rund 40.000 Jahre alt. In der Bocksteinhöhle am Sirgenstein bei Blaubeuren fanden die Forscher Schmuck, geschnitzt aus Mammutelfenbein. In der Bocksteinhöhle bei Rammingen gab es ebenfalls Schmuck, in der Höhle „Hohlenstein“ bei Asselfingen machten die Archäologen einige der bedeutendsten Funde im Höhlenreich der Schwäbischen Alb.
Aus den Schichten des Aurignaciens stammen verschiedene Schmuckstücke wie Elfenbeinperlen und durchlochte Tierzähne. Der bekannteste Fund der Stadel-Höhle ist der Löwenmensch, eine etwa 31 Zentimeter hohe Elfenbeinfigur, die ein aufrechtstehendes Mischwesen aus Mensch und Höhlenlöwe darstellt. In der Höhle „Vogelherd“ bei Niederstotzingen fand man kleine Skulpturen aus Mammutelfenbein: ein Mammut, ein Pferd und einen Höhlenlöwen.
Alle Artefakte und Funde aus den unterschiedlichen Höhlen sind – wenn sie nicht für Sonderausstellungen auf Reisen sind – entweder in den Museen in Ulm und der Universität Tübingen oder im urgeschichtlichen Museum von Blaubeuren zu bewundern.

Eiszeitkunst und faszinierende Naturerlebnisse
Die Schwäbische Alb lädt zu ausgedehnten Wanderungen und Radtouren ein, die von Höhle zu Höhle und von Ausstellungsort zu Ausstellungsort führen. Mehrere der zahlreichen Höhlen sind Schauhöhlen und offen für Besucher: „Hohle Fels“, die Tiefenhöhle „Laichingen“ und die „Schertelshöhle“, die inmitten eines wunderschönen Wald- und Wandergebiets liegt. Die „Sontheimer Höhle“ ist die älteste Schauhöhle Deutschlands. Außerhalb der Höhlen zeigt sich die Schwäbische Alb von ihrer faszinierenden Seite mit großartigen Naturerlebnissen. Am berühmtesten ist wohl der Blautopf, eine Karstquelle mit türkisgrünem Wasser, das sich nach Regenpausen in einem tiefen, reinen Blau zeigt. Der Blautopf liegt nahe Blaubeuren und gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen weit und breit. Es gibt in der Gegend noch fünf weitere Karstquellen, deren Besuch sich lohnt. Karstquellen sind immer Teil eines unterirdischen Höhlensystems. Jede von ihnen hat ihre eigenen Besonderheiten, ihre eigene Farbe und ihre eigene Stimmung.

Der Steinzeit auf der Spur
Wer mehr über die Steinzeit erfahren möchte, ist im Alb-Donau-Kreis gut aufgehoben. Das Steinzeitdorf Ehrenstein gehört seit 2011 zum Unesco-Welterbe „Pfahlbauten um die Alpen“. Am Originalfundplatz steht ein originalgetreuer Nachbau eines jungsteinzeitlichen Hauses. Um dieses Haus gibt es immer wieder Aktionstage, denn hier entsteht ein Mitmach-Dorf. Das Dorf Ehrenstein gehört zu der Reihe von 111 Pfahlbauten aus der Steinzeit, die Forscher in den Alpenländern gefunden haben. Am 27. Juni feierte die Archäologie den zehnten Jahrestag seit der Ernennung zum Weltkulturerbe mit einer Reihe besonderer Veranstaltungen. Verschiedene Ausstellungen, einen erlebnisreichen Rundweg und spannende Aktionstage gibt es auch im „Archäopark Vogelherd“ bei Niederstotzingen-Stetten. [ raa ]

Weitere Informationen:
https://www.weltkultursprung.de/funde/
http://www.lonetal.net/vogelherdfiguren.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Höhlen_und_Eiszeitkunst_der_Schwäbischen_Alb
https://de.wikipedia.org/wiki/Venus_vom_Hohlefels
https://de.wikipedia.org/wiki/Vogelherdhöhle#Die_Vogelherd-Figuren

Arbeitsgemeinschaft Weltkultursprung
Schillerstraße 30
89077 Ulm