Das Ende der Nahrungskette ist der Neuanfang
Auf städtischen Kläranlagen soll Gemüse gedeihen

Die Einwohnerzahlen der Städte wachsen und die Versorgung mit Agrarprodukten wird zunehmend zur Herausforderung. Neuartige Agrarsysteme werden notwendig. In einem Verbundprojekt geht das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Praxis einen ungewöhnlichen Weg, der sich als geniale Idee entpuppt.
Der Beginn eines erstaunlichen Projekts: Das Bundesministerium für Forschung und Bildung startete eine Ausschreibung zu Agrarsystemen der Zukunft wie die Agrarwirtschaft in Deutschland in 30 Jahren aussehen könnte. Ausschlaggebend waren unter anderem nicht akzeptable Auswirkungen der Landwirtschaft, zu denen hohe Nitratbelastungen, Qualitätsunterschiede und aufgrund steigender Importe auch die Entfernungen vom Anbau zum Verbraucher zählen.
Da das Projekt Suskult, bei dem das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik die Koordination inne hat, Umbrüche von bisher Gewohntem mit sich bringen wird, sollten von Beginn an möglichst viele gesellschaftliche Gruppierungen eingebunden werden. Dazu zählen inzwischen nicht nur 15 feste Partner aus Forschung und Praxis, sondern auch ein Beirat, zu dem unter anderen die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, die Innovation City Bottrop, der Verein Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 Nordrhein-Westfalen und weitere Fachleute gehören, die ihr Wissen einbringen. Als Zeitraum für die Umsetzung wird 2050 genannt, da eine Transformation letztendlich auch abhängig von gesellschaftlichen und regulativen Veränderungen sein muss. Im Mai fand die Auftaktveranstaltung mit 35 Teilnehmern des Projektverbunds und -beirats statt.

Verrückte Idee für ein Agrarsystem der Zukunft
Das Team des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik entwickelt im Rahmen des Verbundprojekts Suskult ein neuartiges Agrarsystem.
Für den Leiter der Abteilung Photonik und Umwelt, Volkmar Keuter, war klar, „dass die Landwirtschaft der Zukunft ressourcenschonender werden muss. Von daher lag unser Ansatz nahe, dass der Gemüseanbau näher zum Verbraucher kommen sollte. Und wir wissen auch, dass Regionalität für die Verbraucher eine deutlich höhere Priorität als Bio hat. Das Besondere unserer Idee ist der Standort, denn wir docken das Agrarsystem an städtische Kläranlagen an.“
Verrückt, Gemüse soll auf Kläranlagen wachsen? Ein Blick auf die für die Pflanzenkultivierung benötigten Komponenten erklärt das System. Für den geschlossenen Anbau von gartenbaulichen Produkten sind im Wesentlichen Nährstoffe (Dünger), CO2, Wärme und Wasser notwendig.
„All diese Ressourcen finden wir auf Kläranlagen“, argumentiert Volkmar Keuter. Hinzu käme der Standortvorteil. Zunächst am Stadtrand gebaut, seien Kläranlagen bedingt durch das Wachstum der Städte und Metropolregionen mittlerweile häufig zentrumsnah verortet.

Gemüseanbau zieht zukünftig in die Stadt
Die Idee, Ressourcen aus Kläranlagen im Sinne der Kreislaufführung zu nutzen, ist nicht neu. Es gibt bereits Verfahren, die Phosphor aus Schlamm und Asche in Kläranlagen teils unter erhöhtem Energieeinsatz zurückgewinnen, um ihn in Form von Dünger oder Futterzusatz in die Agrarwirtschaft zu bringen.
Der Nachteil sei, so Volkmar Keuter, dass Phosphor dabei aus der Stadt in agrarwirtschaftlich geprägte Regionen transportiert werde und von dort später Obst und Gemüse wieder zurück in die Stadt gebracht werden.
Um eine agrarwirtschaftliche Produktion direkt an Kläranlagen andocken zu können, entwickelt ein interdisziplinäres Konsortium im Rahmen von Suskult ein Bausteinsystem. Das Ergebnis soll regional angebautes, qualitativ hochwertiges Gemüse sein.

Basis wird in den nächsten drei Jahren gelegt
Zur Grundlagenforschung gehören unter anderem viele Laborexperimente, die an das Team enorme Herausforderungen stellen. Das Problem Düngemittelaufbereitung ohne dass Schadstoffe in die Pflanzen kommen, steht dabei für Volkmar Keuter weit vorn: “Wir haben uns das hohe Ziel gesetzt, nach drei Jahren eine Demonstrationsanlage im Ruhrgebiet auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg aufzubauen. Das ist für uns Technologen ein ordentlicher Maßstab.“ Das Ziel sei sehr ehrgeizig, „nach einer Phase der Optimierung möchten wir vor Ort pro Jahr mehrere Tonnen Gemüse produzieren.“
Wenn alles optimal laufe, könne man damit beispielsweise den jährlichen Bedarf an Blattsalaten einer Gemeinde mit zirka 10.500 Einwohnern decken.
Für Volkmar Keuter wären die technologischen Anforderungen früher als 2050 zu meistern, dennoch sei die Zeitspanne realistisch: „Man muss den dafür notwendigen gesamtgesellschaftlichen Umbruch der Entsorgungsstruktur sehen. Heute sind die Abwasseranlagen noch reine Entsorgungseinrichtungen. Für den Wandel und die notwendige Transformation, dass nämlich eine Kläranlage keine reine Entsorgungseinrichtung, sondern Nährstoff- und Ressourcenlieferant wird, dafür muss man auch die Menschen mitnehmen.“

Info: Suskult – kurz und bündig erklärt
Unter der Koordination vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik arbeiten 15 Partner in den vier Teilprojekten „TP1 NEWtrient-Center“, „TP2 NEWtrient-Aufbereitungssystem“ sowie „TP3 Nahrungsmittelproduktion“ und „TP4 Umfeld- und Systemanalyse“.
Das Projekt Suskult – Entwicklung eines nachhaltigen Kultivierungssystems für Nahrungsmittel resilienter Metropolregionen – wird im Rahmen der Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“ innerhalb der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ der Bundesregierung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT
Osterfelder Straße 3
46047 Oberhausen