Das Konzept der „Lebensqualität“ wurde in den 1960er Jahren als alternatives Wohlfahrtsmaß etabliert. Basis war die aufkommende kritische Diskussion der Eignung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Kontext der sozialen und ökologischen Kosten sowie der „Grenzen“ des wirtschaftlichen Wachstums. Heute kann sich jede und jeder etwas unter Lebensqualität vorstellen und man findet allenthalben normative und politische Aussagen zur Steigerung derselben. Die Beliebtheit von Begriffen korreliert oft positiv mit einer gewissen Schwammigkeit. Und so verwundert es nicht, dass in der nunmehr 60-jährigen Karriere der Lebensqualität immer wieder um deren Operationalisierung gerungen wurde.

 

Objektive Indikatoren erfüllen nicht automatisch alle individuellen Wünsche

Dipl.-Ing. Ricarda Pätzold ist Projektleiterin und Bereichsleiterin am Deutschen Institut für Urbanistik.
Dipl.-Ing. Ricarda Pätzold ist Projektleiterin und Bereichsleiterin am Deutschen Institut für Urbanistik

Ricarda Pätzold: „Politische Rahmenbedingungen beeinflussen kommunale Handlungsspielräume.“

„Der kleinste gemeinsame Nenner besteht darin, Lebensqualität als multidimensionales Konzept zu verstehen, das gleichermaßen objektive und subjektive Komponenten umfasst.
Mit dem Anspruch Lebensqualität, bezogen auf unterschiedliche territoriale Einheiten sowie in einer zeitlichen Perspektive, vergleichbar zu machen, geht einher, dass Lebensqualität grundsätzlich als quantifizierbar betrachtet wird. In den verschiedenen summarischen Indizes – zum Beispiel auf Ebene von Ländern „Human Development Index“ der Vereinten Nationen, „Better Life Index“ der OECD oder auf Ebene von Städten der „Global Liveability Index“ der EIU – wird jeweils eine Auswahl verfügbarer Indikatoren getroffen. Die Ergebnisse werden in der Regel in Form von Rankings dargestellt und durchaus für die Außendarstellung genutzt. So verweist Wien darauf, dass die erneute „Auszeichnung“ als lebenswerteste Stadt der Welt „kein Zufall – sondern Ergebnis verantwortungsvoller Politik […]“ ist. Die weiterführenden Links dazu am Ende des Artikels.
Etwas in Vergessenheit geraten ist die Regierungsstrategie „Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist“, mit der die Lebensqualität in den Mittelpunkt des Regierungshandelns gerückt und zum Maßstab erfolgreicher Politik gemacht werden sollte. Im Rahmen eines Bürgerdialogs wurde 2016 erhoben, was die Menschen konkret unter einem „guten Leben“ verstehen. Entgegen der ursprünglichen Planung wurde der Bericht jedoch nicht verstetigt. Auch das mit erheblichem Aufwand entwickelte Indikatorensystem zur Messung und Beobachtung der Lebensqualität wird zwar sporadisch fortgeschrieben, spielt aber in der öffentlichen Diskussion und im Regierungshandeln keine Rolle mehr.
Gleichwohl können die Indikatoren genutzt werden, um sich den von Städten zu beeinflussenden Aspekten anzunähern. Die einzelnen Dimensionen werden in der Regierungsstrategie nach Leben, Umfeld und Land geclustert.

 

Grafik "Gut leben in Deutschland"

Weitere Informationen unter:
www.gut-leben-in-deutschland.de/index.html

 

In der Konsequenz fließen die Ergebnisse aller städtischen Politikbereiche – zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Wohnen, Wirtschaft, Soziales, Mobilität – in die Gestaltung von Lebensqualität ein. Die kommunalen Handlungsspielräume werden dabei von landes- und bundespolitischen Rahmenbedingungen sowie externen Standortfaktoren beeinflusst. Zudem stimmen die objektiven Indikatoren nicht unbedingt mit den subjektiv empfundenen Bewertungen überein. Das legt zumindest der „SKL Glücksatlas“ nahe: „Kassel und Erfurt liegen an der Spitze des Rankings. Die Einwohner Münchens oder Stuttgarts – Städte mit sehr hoher gemessener Lebensqualität – sind nur mittelmäßig glücklich.“
Karl Kraus notierte 1912: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Es ist für Städte durchaus ein unsicheres Terrain, ein Konzept zur Leitschnur von Politik zu machen, das gleichzeitig subjektive, individuelle und kollektive Aspekte umfasst und mehr auf eine qualitative Veränderung (besser statt mehr) ausgerichtet ist.
Einen alternativen Rahmen zur nachhaltigen und zukunftsorientierten Ausrichtung der kommunalen Entwicklung bieten die Sustainable Development Goals (SDGs). Die 17 Ziele, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte umfassen, sind darauf gerichtet, weltweit drängende Probleme wie Armut, Ungleichheit und Klimawandel zu bewältigen, nachhaltige Lebensweisen zu fördern und sich gleichzeitig auf die spezifischen Bedürfnisse vor Ort konzentrieren. Zudem stärken sie die interkommunale Zusammenarbeit und erleichtern die Messbarkeit von Fortschritten. Die SDGs definieren so einen Handlungsrahmen, um langfristig sowohl für gegenwärtige als auch zukünftige Generationen eine nachhaltige und gerechte Entwicklung sicherzustellen.“

 

Viele Menschen machen in einer Innenstadt einen Stadtbummel
Im Rahmen eines Bürgerdialogs wurde 2016 erhoben, was Menschen konkret unter einem „guten Leben“ verstehen.

 

Kontakt:

Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH
Zimmerstraße 13-15
10969 Berlin
Tel.: +49 30 39001-0
difu@difu.de
www.difu.de/themen/stadtentwicklung-stadtplanung

 

 

Ein weiteres Statement zum Thema von:
Miriam Dross, Fachgebietsleiterin „Nachhaltige Mobilität in Stadt und Land“ im Umweltbundesamt

Wir bedanken uns ganz herzlich dafür!

 

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