Kommt das nun in die Tüte oder nicht?
Papier, Kunststoff, Baumwolle, Biokunststoff … Welcher Tasche können wir unseren Einkauf denn am ehesten anvertrauen?

Im vergangenen Jahr wurde das Gewissen von Handel und Verbraucher in puncto Tüte auf den Kopf gestellt. Wie ein Lauffeuer verkündeten Fachmedien und Agenturen die Ergebnisse der Studie „Ökobilanz von Tragetaschen“ eines anerkannten Schweizer Materialprüfinstituts. Die Plastiktüte hat den erhobenen Zeigefinger in Richtung Schmuddelecke für sich entschieden und bekam landläufig den Umweltsünder-Stempel.
Thematisch dazu veröffentlichte Bilder belasten unser Gewissen und beeinflussen das Einkaufsverhalten. Und wir waren sicher, dass zu den guten Alternativen zweifellos die Papiertüte gehört, die in Bioläden und bei Bioprodukten einiger Lebensmittelmärkte auch prompt ihren Platz hat. Eilfertig verlangten wir an den Kassen eben diese vermeintlich klimafreundlichen Tüten. Gefühlsmäßig waren die im Braunton richtig gut. Und wer sich besonders umweltfreundlich verhielt, fieselte den mitgebrachten Baumwollbeutel aus der Tasche und setzte so dem Ganzen noch vermeintlich gute Ökopunkte drauf.
Unser Weltbild zur Tüte brach zusammen
Im vergangenen Jahr veröffentlichten Fachmedien und Agenturen die Studie „Ökobilanz von Tragetaschen“ des Schweizer interdisziplinären Forschungsinstituts Empa. Sozusagen von der Wiege bis zur Bahre untersuchten die Wissenschaftler die Ökobilanz der Tüten. Das Ergebnis: „Als Fazit kann aufgrund der Resultate in dieser Studie gefolgert werden, dass die Tragetasche aus mehr als 80 Prozent Blauem Engel würdigem Recycling-Kunststoff unter den hier benutzten Rahmenbedingungen als der ökologische Sieger dasteht, gefolgt von der I’m green-Tragetasche (PE aus nachwachsendem Rohstoff).“ Und wo bleibt die vermeintlich positive Papiertasche? Entsprechend dieser Studie informiert die Agentur yes or no Media GmbH: „... erfordert die Papierproduktion einen hohen Material- und Energieaufwand. Bei der Herstellung wird zerfasertes Holz in Kochlauge zu Zellstoff umgewandelt. Anschließend wird das Material in mehreren Schritten mit Wasser und Bleichmitteln behandelt, getrocknet, gepresst und je nach Papiersorte weiter veredelt. Laut Umweltbundesamt erfordert eine Tonne Papier in der Herstellung den gleichen Energieaufwand wie eine Tonne Stahl.“
Die Agentur fasst die Bilanz zu den Umweltauswirkungen der verschiedenen Tragetaschen zusammen: “Im Ergebnis müsste eine Papiertüte 7,4-mal so oft benutzt werden wie eine Plastiktüte, um ihren höheren Ressourcenverbrauch auszugleichen. Ob sie so lange hält erscheint zweifelhaft. Noch schlechter schnitt in der Studie nur die Baumwolltasche ab. Diese müsste 82,4-mal so häufig wie eine Plastiktüte verwendet werden, um ihren hohen Herstellungsaufwand hereinzuholen. Nüchtern betrachtet hat die Plastiktüte eine Renaissance verdient.“
Danach sieht es allerdings nicht aus.

Gesetzentwurf zum Verbot von Plastiktüten
Im November 2019 beschloss das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zum Verbot von Plastiktüten. Die Ministerin dazu: "Plastiktüten sind der Inbegriff der Ressourcenverschwendung: Sie werden aus Rohöl hergestellt und oft nur wenige Minuten genutzt. Häufig landen sie in der Umwelt, wo sie über viele Jahrzehnte verbleiben und jede Menge Schäden anrichten können. Die Zeit ist reif für ein Plastiktütenverbot. … Die große Mehrheit der Deutschen will dieses Verbot. Ich bin sicher, dass schon bald kaum einer die Wegwerftüten vermissen wird." Mit einem weiteren Zitat der Ministerin titelte die FAZ „Die Zukunft ist nicht die Einweg-Papiertüte“ und beschrieb skeptisch dazu in der Bildunterschrift „Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zum Verbot von Plastiktüten beschlossen. Nur die durchsichtigen Beutelchen an der Obst- und Gemüsetheke dürfen bleiben – vorerst noch.“
Als Verbraucher zählen wir uns bei der Hausmülltrennung zu gewissenhaften Sortierern und unterscheiden auch bei der Tütenentsorgung zwischen Papier, Biomüll, Restmüll und gelben Sack oder gelber Tonne. Aber wie lösen wir den Einkauf mit „ohne Tüte“? Bisher war ein Stadtbummel mit kurzentschlossenen Käufen einfach. Bekleidung, Gemüse, Bücher, sperrige Spielsachen und Geräte – für alles gab es eine Tüte. Und wir verwendeten anschließend Papiertüten für Biomüll und Plastikbeutel und die kleinen dünnen, im Fachjargon als Knoten- oder Hemdchenbeutel bezeichnet, für den Restmüll, statt ständig Müllbeutel auf der Rolle zu kaufen. Inzwischen verlangen Händler der Umwelt zu Liebe für Tüten aus Papier oder Kunststoff einen Obolus in unterschiedlicher Höhe. Hintergrund: Wir Verbraucher sollen zum Verzicht auf umweltschädliche Tüten erzogen werden. Beim wöchentlichen Einkauf auf der grünen Wiese ist das keine Kunst. In den meisten Fällen liegen Körbe oder Kisten im Auto.

In Zeiten der Corona-Pandemie beschäftigt uns aber noch ein anderes Thema. Geboten sind Kontaktvermeidung und sorgfältigste Hygiene zur Abwehr des gefährlichen Virus. Könnten jetzt Tüten im Lebensmittelbereich eine größere Bedeutung bekommen? Dann nämlich, wenn wir eben nicht das Obst und Gemüse lose in den Einkaufswagen und anschließend auf das Laufband legen.
Am Ende der Serie sortiert und wiegt auch noch die Kassiererin die Ware händisch. Hemdchenbeutel oder mitgebrachte Plastiktüten, die sich zu Hause leicht abwischen lassen, könnten gute Dienste tun. Oder schauen wir auf Einkaufshelfer. Eine große Drogeriemarktkette wirbt mit einer Express-Aktion: „Online bestellen und meist am gleichen Tag die fertig gepackte Papiertüte – hier Wertpapier genannt – bei kontaktloser Onlinebezahlung abholen.“
Komplexes Thema mit Pro und Contra
Wie sollten wir gewichten, wie mit uns, der Umwelt und der Tüte umgehen? Eine Renaissance der Plastiktüte ist sicher ausgeschlossen. Zu außergewöhnlicher Beachtung ist sie auf charmante Art mit einer kleinen, jedoch umfassenden Ausstellung im Museum für Alltagskultur Schloss Waldenbuch, einem Museum des Landesmuseums Württemberg geworden. Aufgrund der Schließung durch die Corona-Pandemie konnte die Schau „Adieu, Plastiktüte“ bis zum 8. November 2020 verlängert werden. Im Interview – nachzulesen auf unserer Website www.kommunaltopinform.de, gibt Kurator Frank Lang einen Einblick und schließt mit dem Fazit: „Es ist schon verrückt, die Welt will die Plastiktüte loswerden und wir wollen sie für die Zukunft aufbewahren.“

Dennoch, makellose Wundertüten wird es nicht geben.
Auf dem Prüfstand stehen sie alle, egal aus welchem Material. Der ökologische Fußabdruck beginnt ja dort, wo die Rohstoffbereitstellung anfängt und endet in der Entsorgung.
Für Entscheidungen brauchen wir Transparenz und Orientierung. Kommunaltopinform hat deshalb bei Institutionen, Verbänden und Handel nachgefragt.
Was daraufhin passierte, hat uns überrascht. Mit der Resonanz und Gesprächsbereitschaft hatten wir nicht gerechnet.
Die Beiträge bzw. Antworten stammen von Frank Lang (Landesmuseum Stuttgart), von Dr. Regina Dube (BMU), Aldi Süd, Dr. Oliver Möllenstädt (GKV), Dr. Michael Jedelhauser (NABU) und von Thomas Fischer (Deutsche Umwelthilfe e.V.).
Steffi Findeisen
Weitere Informationen zur Ausstellung:
https://www.museum-der-alltagskultur.de/ausstellungen/adieu-plastiktuete/

Die Statements und Interviews zum Thema „Pro und Contra Plastiktüte“ finden Sie unter folgenden Links:
>> Interview mit Kurator Frank Lang <<, vom Museum für Alltagskultur Waldenbuch (Landesmuseum Stuttgart) zur Ausstellung „Adieu Plastiktüte“
>> Interview mit Dr. Regina Dube <<, Leiterin der Abteilung Wasserwirtschaft und Ressourcenschutz beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
>> Statement von Dr. Oliver Möllenstädt <<, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e. V. (GKV)
>> Statement von Dr. Michael Jedelhauser <<, Referent für Kreislaufwirtschaft, NABU
>> Statement von Thomas Fischer <<, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe e.V.
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