Künstliche Intelligenz – übernimmt die Technik?
Innovation: Zum ersten Mal entwickelt sich Technik selbst weiter / Warum sie uns trotzdem nicht ersetzen kann…

Die Digitalisierung läuft seit über 50 Jahren. Mit Computern und dem Internet sind wir längst vertraut, am Arbeitsplatz, in der Verwaltung wie auch privat. Dennoch läuft seit einigen Jahren eine enorme Welle durch die öffentliche Kommunikation, in der neue und weitreichende Visionen verbreitet werden. Gleichzeitig nehmen die Sorgen zu, dass uns die digitale Technik das Heft aus der Hand nimmt und Menschen überflüssig machen könnte. Geht in dieser raschen Entwicklung Technik vor und bleibt der Mensch zurück oder gar auf der Strecke?
Die künstliche Intelligenz (KI) steht zurzeit im Mittelpunkt sowohl der Verheißungen als auch der Sorgen in Bezug auf die weitere Digitalisierung. Fakt ist, dass in der Menschheitsgeschichte etwas fundamental Neues passiert. Bislang war Technik vom Menschen gemacht und blieb auch so, wie Menschen sie gemacht hatten. So bleibt ein Spaten ein Spaten und eine Waschmaschine eine Waschmaschine. Mit der KI haben wir zum ersten Mal die Situation, dass wir Technik entwickeln, die sich selbst weiterentwickeln kann. Damit ist es gelungen, die Fähigkeit des Lernens, die gemeinhin als zentraler Grund für menschliche Kultur und Wissenschaft gilt, auf Technik zu übertragen. Auch wenn dieses maschinelle Lernen verglichen mit menschlichem Lernen sehr rudimentär ist, darf man hier von einem historischen Ereignis sprechen.
Entsprechend ist es zunächst verständlich, dass Menschen sich Gedanken und auch Sorgen machen, ob wir die Kontrolle behalten und wie sich all das in Zukunft weiter entwickeln wird. Dazu drei Überlegungen.

Erstens fragen viele, ob wir Menschen noch gebraucht werden, wenn doch die digitale Technik immer besser wird. Algorithmen nicht nur als bessere Rechtsanwaltsgehilfen und Sportkommentatoren in Frage kommen, sondern gar als bessere Psychologen, Richter, Ärzte und Politiker, davon ist in den Verlautbarungen der digitalen Visionäre zu lesen. Aber Vorsicht. Dass Technik besser ist als Menschen, ist ganz normal. Wenn sie das nicht wäre, bräuchten wir sie gar nicht.
Allerdings ist Technik immer nur für bestimmte Aufgaben besser: der Spaten beim Graben von Löchern, das Auto beim Zurücklegen größerer Strecken und der Algorithmus AlphaZero beim japanischen Brettspiel Go. Nun kann aber der Spaten nicht rechnen, das Auto nicht diskutieren und AlphaZero nicht tanzen. Wir Menschen jedoch können sehr vieles und sehr Unterschiedliches. Wir können auch sorgsam abwägen, Sein und Sollen unterscheiden und gelegentlich mit guten Gründen von Regeln abweichen.
Ich sehe nicht, wie Technik auf absehbare Zeit in die Lage kommen könnte, hier auch nur ansatzweise aufzuholen.

Zweitens: Wo bleibt die menschliche Verantwortung, etwa bei KI-gestützten selbstfahrenden Autos. Darf Technik über Leben und Tod entscheiden? Zum Glück gibt es hier eine einfache Antwort. Die Technik entscheidet gar nichts und hat keine Verantwortung. Der Bordcomputer, um im Beispiel zu bleiben, spult sein Programm ab und nutzt Daten, um die Verkehrssituation zu analysieren und die nächste Aktion einzuleiten. Wie das geschieht, ist von Menschen konfiguriert und programmiert worden, von Software-Entwicklern und KI-Experten, nach Vorgabe von Managern und Regulatoren. Nicht die Technik entscheidet, sondern die Menschen im Hintergrund, die sie entworfen und umgesetzt haben.
Und auch, wenn die Technik mit Künstlicher Intelligenz anfängt zu lernen, sind Ziel und Zweck des Lernens genauso von Menschen vorgegeben wie Leitplanken und Grenzen. Im selbstfahrenden Auto entscheidet nicht mehr der menschliche Autofahrer, dafür aber andere Menschen. Allerdings: Damit kommt es zu einer anderen und ungleich komplexeren Verteilung der Verantwortung auf viele Menschen, was nicht nur die Juristen beschäftigt, sondern Verantwortung schwerer fassbar macht.

Mein dritter Punkt: Digitalisierung wird häufig wie eine Art Tsunami, eine Naturgewalt dargestellt, auf die man sich einstellen und an die man sich anpassen müsse. Anpassung passt aber nicht zum humanistischen Ideal des gestaltenden und emanzipierten Menschen – und ist auch nicht geboten. Denn die Digitalisierung ist gar keine Naturgewalt. Digitale Technologien und Dienstleistungen wachsen nicht wie Pilze im Wald, sondern werden von Menschen gemacht, in der Regel in Unternehmen und Konzernen, in Forschungseinrichtungen und Geheimdiensten, entsprechend deren Werten und Interessen.
Hier gilt es anzusetzen und Mitgestaltungsmöglichkeiten einzufordern: als Bürger genauso wie als Nutzer. Es geht nicht um Anpassung, sondern darum, welche Formen und Anwendungen der Digitalisierung ethisch und demokratisch gewollt werden, und wie dieser Wille dann auch umgesetzt werden kann.
Prof. Dr. Armin Grunwald

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Institutsleiter Prof. Dr. Armin Grunwald
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Der Roboter Sophia spricht auf der „AI for GOOD Global Summit 2017“.

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