„Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden“
Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie wird sich der ÖPNV verändern? Professor Harry Wagner im Gespräch mit KOMMUNALtopinform

Haben Dörfer die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie die großen Städte? Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
Über diese und andere Fragen sprach KOMMUNALtopinform mit Harry Wagner, seit 2014 Professor für Automotive- und Mobility-Management an der TH Ingolstadt. Er ist außerdem Mitbegründer des Startups FMS (Future Mobility Solutions), das Kommunen bei neuen Mobilitätskonzepten berät. FMS erhielt 2020 den Deutschen Mobilitätspreis vom BMVI. In der Begründung hieß es: „Das Projekt beweist, wie digital vernetzte Mobilitätslösungen dazu beitragen können, Mobilität noch sicherer, effizienter und nachhaltiger zu gestalten.“
Der öffentliche Nahverkehr galt lange als wichtiges Puzzleteil für die Mobilität der Zukunft. Hat die Pandemie daran etwas geändert?
Das glaube ich schon. Die Digitalisierung und das Home-Office haben den Transport zum Büro teilweise überflüssig gemacht. Dazu kam die Ansteckungsangst.
Aber ich glaube auch, dass sich der ÖPNV davon wieder erholen wird. Das sieht man ja heute schon in den Großstädten. Trotzdem muss man daran denken, dass auch andere Möglichkeiten in Zukunft verstärkt unterstützt werden müssen, wie beispielsweise das Radfahren. Den Trend gab es ja schon vor Corona. Radfahren wird in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Hier sind die Kommunen gefordert.
Wie könnte im ländlichen Raum die Mobilität der Zukunft aussehen? Die Wege sind oft zu weit für das Rad, der Bus kommt nur einmal am Tag...
Große Omnibusse haben hier keine Zukunft. Ich sehe kleinere Busse, Stadtbusse oder Shuttles, die oft oder sogar nur bei Bedarf unterwegs sind. Das könnte auch ohne Digitalisierung per Telefon möglich sein, damit auch die älteren Mitbürger mitmachen können. Es muss eine Übergangsphase geben, in dem ein „Bus on Demand“ auch per Telefon zur Verfügung steht.
In Oslo baut man bereits Wohnhäuser völlig ohne Parkplätze. Wäre das auch in Deutschland denkbar?
Das ist denkbar und sogar schon geschehen. In München gibt es den Prinz-Eugen-Park mit 1200 Wohneinheiten. Es gibt zwar Parkplätze, aber die Bauherren mussten ein Mobilitätskonzept vorlegen, in dem Radfahren, Carsharing, elektrische Lastenräder und Ladesäulen eine wichtige Rolle spielen.

Die Mobilität der Zukunft ist ohne Digitalisierung nicht denkbar. Gibt es hier Überschneidungen mit dem Datenschutzgesetz?
Man muss die Art der Verwendung von Daten transparent machen und Missbrauch durch geeignete Maßnahmen ausschließen. Bei der Verwendung des Smartphones wird heute nicht mehr hinterfragt, was mit den Bewegungsdaten geschieht. In meiner Mobilitätsforschung geht es in erster Linie um mögliche innovative Konzepte, die dann später in der Anwendung natürlich von Juristen überprüft werden.
Was können kleinere Kommunen für ein zukunftsträchtiges und modernes Mobilitätskonzept tun?
Sie sollten sich beraten lassen. Jedes Mobilitätskonzept muss individuell auf die Bedürfnisse einer Kommune zugeschnitten sein. Manchmal helfen schon kleine Justierungen. Man muss nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Vieles kann man sehr schnell und mit einfachen Mitteln verwirklichen.
Das Interview führte Ingrid Raagaard.
Technische Hochschule Ingolstadt
Esplanade 10
85049 Ingolstadt
