Vom Lost Place zum Schmuckstück
Abriss war gestern – so haucht Pirmasens alten Fabriken neues Leben ein
In vielen Städten sind sie ein Schandfleck und das Ziel von Fotografen mit Hang zu Vergangenem und Vergessenem: ungenutzte und vor sich hin gammelnde Industriegebäude. Nicht so in Pirmasens. Hier entstehen aus den alten Gebäuden wahre Schmuckstücke mit neuer Verwendung.
Es war einmal eine alte Schuhfabrik im westpfälzischen Pirmasens. Zu einer Zeit, als in Deutschland so etwas wie Schuhe noch gefertigt wurden, war hier am Tor zum Pfälzerwald eine Metropole der Schuhfabrikation. Die Fabriken lagen zumeist inmitten der Stadt, in einem vitalen, urbanen Umfeld. Sehr oft auch in einer Wohnumgebung. Zur Hochzeit Anfang des 20. Jahrhunderts produzierten hier etwa 14.000 Beschäftigte in 240 Fabriken Schuhe ohne Ende. Vor allem die größeren Immobilien waren deutlich mehr als reine Zweckbauten, sie repräsentierten die Wirtschaftskraft der Unternehmen und den Stolz ihrer Eigentümer. Typische Beispiele dafür sind Goldmark, Rheinberger, Kopp und Ohr. Schöne, markante Gebäude, die trotzdem vielerorts dem Verfall preisgegeben werden.
Geschichtsträchtige Gebäude mit Zukunft

Die Stadtverwaltung Pirmasens wollte diesen Weg nicht gehen und das aus guten Gründen. „Die größeren Schuhfabriken waren immer mehrgeschossig und deutlich höher als die Umgebungsbebauung. Die großen Fensterflächen, die für gutes Licht sorgten, gewähren Aussichten und Fernblicke über die Stadt bis weit ins Umland. Die saalgroßen Fertigungsräume lassen freie Grundrisse zu. Damit sind viele dieser Immobilien per se reizvoll und attraktiv für Entwickler und Investoren“, heißt es aus der Stadtverwaltung.
Ein Beispiel: Die Schuhfabrik Welter & Brück in der Landgrafenstraße auf dem Horeb, einem der sieben Hügel, auf denen Pirmasens erbaut wurde. 1990 war hier nach 80 Jahren Fertigung Schluss mit dem Schuhwerk. Die Stadt kaufte Gebäude und Grundstücke. Zunächst zog hier ein Gewerbehof ein. Später saß in dem alten Gemäuer die Verwaltung eines mittelständigen Süßwarenproduzenten, bis der Chef die Kaufoption zog und die Gebäude zu einer modernen und attraktiven Wohn- und Gewerbeanlage umbauen ließ. Der Name des Projektes: „Bellevue“. Zehn Millionen Euro wurden investiert und dort, wo früher Schuhe produziert wurden, gibt es jetzt auf 3.422 Quadratmetern hochwertige Zwei- und Dreizimmerwohnungen, einige barrierefrei, einige zur Miete, andere als Eigentum. Wohnraum, den Pirmasens gut gebrauchen kann, denn die Stadt verzeichnet seit einigen Jahren wieder mehr Zu- als Abwanderer.
Ohne den privaten Investor wäre der Umbau sicherlich nicht möglich gewesen. Für solche Investitionen müssen Kommunen aber auch etwas tun. Pirmasens etwa hat zur Unterstützung privater Unternehmungen frühzeitig Sanierungsgebiete festgelegt. „Damit werden erhöhte steuerliche Anrechnungsmöglichkeiten für Investitionen in den Bestand geschaffen. Dies allein war bei mehreren privaten Entwicklungen großer Immobilien schon ausreichend“, unterstreicht Talea Meenken von der Presseabteilung. Ein weiteres Beispiel: In der alten Heinrich-Klesmann-Fabrik entstehen barrierefrei zugängige Lofts und im oberen Teil zweigeschossige Maisonettenwohnungen. Die Grundzüge des alten Gebäudes bleiben dabei erhalten. Auf dem Gelände der ehemaligen Schuhfabrik Peter Kaiser erhebt sich nach Abschluss der Umbauten ein moderner Wohnpark mit Einfamilienhäusern nach KfW-Effizienzhaus 55-Standard. Weniger komfortabel wird die frühere Schuhfabrik Ohr aus dem Jahr 2025 umgestaltet. Hier können sich auch „Normalverdiener“ für 51 Wohnungen bewerben, die bewusst im niedrigen Mietbereich angesiedelt sind.

Es geht nicht nur um Wohnraum
Aber es muss nicht immer eine alte Fabrik sein, damit die Stadt sich engagiert: „Seit einigen Jahren ist es in zwei großen Innenstadt-Sanierungsgebieten möglich, auf Basis einer Modernisierungsvereinbarung einen Zuschuss zu erhalten, der aber auf maximal 30.000 Euro gedeckelt ist und damit vor allem auf die Entwicklung kleinerer Immobilien abzielt. Dafür hat die Stadt entsprechende Modernisierungsrichtlinien beschlossen.“ Als Sonderfall bezeichnet die Kommune den Umbau der ehemaligen Schuhfabrik Rheinberger. Hier wurde, eine öffentliche Nutzung war Teil des Konzeptes, eine Partnerschaft mit privaten Investoren eingegangen. Heute ist das Gebäude ein modernes Dienstleistungszentrum inklusive Schule, Arztpraxen und das einzigartige rheinland-pfälzische Science Center, das „Dynamikum“. Denn längst geht es nicht mehr nur um neuen Wohnraum. Teil der Planungen sind oft auch Büroflächen, Co-Working-Spaces, medizinische und andere Dienstleistungen, Bildungseinrichtungen, Fitness-, Wellness- und Sportbetriebe, Gastronomie, Gewerbe, Handwerk und Handel.
Der Stadt ist es wichtig, dass Arbeitsplätze neu entstehen, die Wertschöpfung in der Stadt bleibt und neue Bürger die Stadt beleben oder sogar Touristen aus aller Welt anziehen. Dafür sorgt zum Beispiel die neue Jugendherberge mit 220 Betten in einem supermodernen Design. Auch die 2019 eröffnete Herberge ist ein altes Bestandsgebäude – hier befand sich früher die historische Hauptpost.
Oberbürgermeister Markus Zwick hält Projekte dieser Art in Altbeständen für ganz entscheidend: „Die Revitalisierung gerade der leerstehenden früheren Schuhfabriken durch den Umbau in hochwertige Wohn- und Gewerberäume stellt sich als ein wichtiger Baustein in der strategischen Weiterentwicklung unserer Stadt dar – Stichwort Zukunftsfähigkeit.“ Nein, „Lost Places“ wird es in Pirmasens wohl auch zukünftig keine mehr geben. [ al ]

Weitere Informationen unter:
www.schuhstadt-pirmasens.de/schuhschlosser
www.bellevuepirmasens.de
Stadtverwaltung Pirmasens
Exerzierplatzstraße 17
66953 Pirmasens











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