Herr Dr. Schröter, wo liegen die Risikogebiete in Deutschland?
Große Flüsse bergen immer Hochwassergefahren. Betrachten wir den Starkregen, dann ist jedes Gebiet gefährdet. Die diesjährigen Auswirkungen mit der hohen Anzahl der Toten hat eine völlig neue Qualität.

 

Gemeinsam mit Partnern haben Sie eine Web-Plattform entwickelt, die für Kommunen ein hilfreiches Werkzeug sein kann.  Worin besteht das Besondere?

SaferPlaces ist ein Planungs- und Analysewerkzeug, mit dem Gemeinden ihr Hochwasserrisiko besser einschätzen und sich auf Gefahren vorbereiten können. Zu den drei wesentlichen Faktoren zählt erstens, dass Anwender keine Extrasoftware installieren müssen. Alles läuft über einen Web-Browser, Berechnungen finden in der Cloud statt. Zweitens arbeiten wir mit offenen Daten unter anderem von OpenStreetMap, die ohne Restriktion zur Verfügung stehen und uns ermöglichen, Modelle für wichtige Informationen zu entwickeln.

 

Und der dritte Aspekt ...

Ganz wesentlich ist die Interaktivität der Plattform. Man kann nicht nur Dinge anschauen, sondern auf dieser Plattform selbst bestimmen, auf welche Szenarien oder Fragen man Antworten sucht. Zum Beispiel, was wäre wenn in meiner Gemeinde so viel Regen fällt wie beispielsweise in Köln? Welche Flächen wären betroffen? Was wäre wenn wir eine Hochwasserschutzwand einbauen oder mehr Flächen für die Versickerung von Niederschlag bereitstellen würden, beziehungsweise bestimmte Bereiche der Stadt zum Rückhalt des Wassers verwenden könnten? Die Plattform kann interaktiv genutzt werden. Aufgrund schneller Rechenzeiten ist innerhalb von wenigen Minuten die Antwort sichtbar. Die Gemeinde könnte damit in Planungsausschusssitzungen die Auswirkungen von Maßnahmen demonstrieren und zur Diskussionsgrundlage machen.

 

 

Browseransicht der Saferplaces Platform für einen Detailausschnitt der Stadt Köln. Überflutungstiefen für ein Starkregenszenario (blaue Farbskala) und Maßnahmenbeispiele zum Gebäudeschutz (grüne Gebäude), Rückhaltevolumen (blaues Quadrat) und Infiltrationsraten für nicht versiegelte Flächen (grüne Farbskala).

 

Wie heikel ist das Thema Datenschutz?

Das ist mitunter wirklich ein Problem. Sinn und Zweck der Plattform ist ja, Schäden durch Starkregenkatastrophen frühzeitig zu vermeiden. Wir empfehlen, nicht einzelne Gebäude, sondern Stadtviertel zu bewerten, damit spezielle Maßnahmen getroffen werden können. Personenbezogene Daten werden nicht hinterlegt. Es geht um die Fragen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Gebiet überflutet werden kann und wie hoch der Schaden werden könnte. Leider sind notwendige Daten nicht flächendeckend offen zugänglich. Manche Länder verfügen über Daten, behalten Sie aber für sich. Genau das ist der springende Punkt und die Krux für Forschung und Entwicklung. Hier sollte ein Umdenken angeregt werden.

 

Welche Daten sind auf SaferPlaces hinterlegt?

Die wichtigsten Informationen sind die über die Topografie. Dafür gibt es digitale Geländemodelle. In manchen Bundesländern liegen sie in hoher Auflösung vor. Maßgeblich sind auch Informationen über Niederschlagsmengen, Dauer der Niederschläge, Flusshochwasser und Abflussmengen an bestimmten Pegeln.

 

 

Browseransicht der Saferplaces Platform für einen Detailausschnitt der Stadt Köln. Überflutungstiefen für ein Starkregenszenario (blaue Farbskala) und geschätzte Gebäudeschäden (rote Farbskala).

 

Welchen Nutzen hat die Plattform für die Kommunen?
Ideen für Schutz und Vorsorge sind meistens vorhanden. Aber die Umsetzung dauert oft länger, auch weil es sehr schwierig ist, qualifizierte Aussagen für Gefahreneinschätzungen zu bekommen. Informationen, die bei uns generiert werden können, sagen aus, wie hoch das Gefahrenpotenzial sein kann und in welchem Verhältnis Kosten und Nutzen stehen, wenn Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. Die Plattform unterstützt den Überblick, welche sinnvolle Strategie entwickelt werden sollte und welche Lücke man zum höchstmöglichen Schutz schließen muss. Letztendlich kann man ein ganzes Stadtviertel für die Planung beurteilen.

 

Können Kommunen selbst ihre Erfahrungen beziehungsweise aktualisierte Daten einpflegen?

Informationen aus Geländemodellen beinhalten nicht unbedingt jedes Detail, das für eine Einschätzung wichtig wäre, zum Beispiel Unterführungen oder Bahngleise. Das können Kommunen selbst nachbessern und ihre eigenen Daten in die Plattform einladen.

 

Portrait Dr. Kai Schröter

 

Besteht für Interessierte die Möglichkeit, die Plattform zum Test auszuprobieren?

Kein Problem, im Moment bieten wir den Prototyp als Demonstrationsobjekt an, mit dem interaktiv Gefahreneinschätzungen zu Schäden und Auswirkungen einer Überflutung abgefragt werden können. Interessierte können sich über die Webseite als Nutzer registrieren und bekommen einen Zugang. Sich umschauen kann jeder, auch Fragen stellen. Wir empfehlen den Browser von Google Chrome. Die Kontaktmöglichkeit besteht über die Plattform (platform.saferplaces.co). Später steht  dieses Angebot als Dienstleistung zur praktischen Verfügung.

 

Wird auch der Klimawandel über SaferPlaces abgebildet?

Natürlich, die Auswirkungen vom Klimawandel kann jeder sehen und erkennen, wie sich das Wetter verändert. Im Moment gibt es dafür noch keine flächendeckenden Datensätze aus Klimaprojektionen. Das muss jeder individuell machen. Aber es funktioniert.

Das Interview führte Steffi Findeisen.

 

Die Abbruchkante in Erftstadt-Blessem am 21. Juli 2021: Aufgrund der unvorstellbar gewaltigen Flutkatastrophe rutschten Häuser in eine unterspülte Kiesgrube.

 

Weitere Informationen:

SaferPlaces – Ergebnis eines EU-Förderprojekts 

Das Projekt wurde drei Jahre vom EIT Climate-KIC gefördert, eine Wissens- und Innovationsgemeinschaft (KIC – Knowledge and Innovation Community), die daran arbeitet, den Übergang zu einer kohlenstofffreien, klimaresistenten Gesellschaft zu beschleunigen.

Zum internationalen Konsortium unter der Leitung des italienischen Ingenieurbüros GECOSistema gehören das CMCC (Euro-Mediterranean Centre on Climate Change), das Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ (Sektion Hydrologie), die Universität Bologna, die Technische Universität Madrid und MEEO Meteorological Environmental Earth Observation sowie die drei Pilotstädte Köln, Rimini und Pamplona.

 

Für Rückfragen:

Priv. Doz. Dr.-Ing. Kai Schröter, Sektion Hydrologie
Tel.: +49 331 288-1525
www.saferplaces.co
www.platform.saferplaces.co

Helmholtz-Zentrum Potsdam

Telegrafenberg

14473 Potsdam

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