In Gesprächen der Großeltern-Generation wurde der Begriff kaum diskutiert. Seit wann ist Burnout eine häufige Erkrankung? 

In der wissenschaftlich therapeutischen Welt gibt es den Begriff seit 1978. Damals beobachtete der Amerikaner Herbert Freudenberger, dass es bei Sozialarbeitern, die mit Drogensüchtigen arbeiteten, häufig Menschen gab, die für ihren Job Feuer und Flamme waren, nach wenigen Jahren aber keine Motivation mehr hatten. Zum ersten Mal wurde ein Burnout als eine dauerhafte Überlastung im beruflichen Bereich beschrieben.

 

Populär wird die Erkrankung auch als Managerkrankheit benannt. Wann macht uns der Job krank?

Bevor Menschen zu uns kommen, geben sie auf der Arbeit oft 150 Prozent, reißen sich zusammen und erfüllen ihre Pflichten letztendlich unter großen Anstrengungen. Das ist ihnen ganz wichtig, weil gewisse Erfolgserlebnisse damit verbunden sind. Menschen, die aus einem betrieblichen Kontext kommen, fühlen sich oft zu wenig beachtet, zu wenig wertgeschätzt oder gelobt für das, was sie leisten. Subjektiv empfinden sie ein Ungleichgewicht.

 

Welche Symptome werden der Diagnose Burnout zugeschrieben?

Da scheiden sich die Geister, denn in der medizinischen und psychologischen Welt ist Burnout keine eigenständige Erkrankung, sondern eine Zusatzdiagnose –  eine sogenannte Z-Diagnose ohne eigenen Krankheitswert. Burnout kommt eher aus der Sozialpsychologie. Wenn Betroffene zu uns kommen, haben sie fast immer ein depressives Syndrom mit Begleiterkrankungen. Ob die Erkrankung ausschließlich dem beruflichen Umfeld zugeordnet werden kann, ist offen. Andere Erfahrungen besagen, dass pflegende Angehörige das höchste Burnout-Risiko überhaupt haben.

Es gibt aber durchaus Ärzte, die einen Burnout für eine eigenständige Erkrankung halten, wohingegen Gesundheitsorganisationen auf der ganzen Welt entsprechend wissenschaftlicher Untersuchungen das nicht als eigenständige Erkrankung darstellen. Auf jeden Fall muss man einen Burnout ernst nehmen, weil es schon eine schwerwiegende Depression oder ein anderes Krankheitsbild sein kann.

Gefühle der Erschöpfung, fehlende Motivation und alles nur noch Grau in Grau zu sehen, gehören zu den allerersten Anzeichen für Depressionen beziehungsweise für ein Burnout.
Gefühle der Erschöpfung, fehlende Motivation und alles nur noch Grau in Grau zu sehen, gehören zu den allerersten Anzeichen für Depressionen beziehungsweise für ein Burnout.

Burnout und Depressionen – können beide gleichwertig auf einer Stufe stehen?

Ich würde sagen es gibt viele Überdeckungen. Häufig sind es verschiedene Begriffe für vergleichbares Geschehen.

 

Das heißt, wir bewegen uns im Umfeld einer Depression, nur erträgt sich die Diagnose für Betroffene leichter?

Keine Frage, der Name steht für eine freundlichere Benennung einer gesellschaftlich akzeptierten Erkrankung. Sehr wichtig: Er kann ein Türöffner sein, weil vor allem Männer damit in der Lage sind, darüber zu reden. Frauen dürfen in der Gesellschaft schwach sein. Männer tun sich mit depressiven Störungen schwerer. Kulturhistorisch betrachtet, bin ich der Meinung, dass man als Mann am Stammtisch zugeben kann, einen Burnout zu haben. Das steht oft in Verbindung damit, dass man sich für irgendwas aufgeopfert hat. Spricht der Mann über seine Angststörung, glaube ich nicht, dass er damit ähnlichen Zuspruch erfährt wie bei einem Burnout. Psychische Störungen sind heute noch stigmatisierend.

 

Stichwort Pandemie: Was macht sie mit unserer Psyche?

Die Pandemie trifft uns schon. Studien weisen darauf hin, dass auch Kinder psychische Auffälligkeiten in Zeiten der Pandemie zeigen. Selbst wenn die Familie über ausreichend Wohnraum und einen Garten verfügt, kann Homeschooling zur Herausforderung werden. Der Grund: Die Kraftquellen fallen weg. Wir sind soziale Wesen, treffen uns gern mit Freunden, trinken ein Feierabendbier, tauschen uns aus. Das fehlt allen, Alt und Jung. Und genau diese fehlenden Kraftquellen betreffen besonders depressive Menschen, die sich im Job verausgaben, zunehmend müder werden, weil Erholungszeiten nicht mehr ausreichen.

Alles wird mühsamer, geht langsamer. Und ich bin mir sicher, dass Homeoffice nicht unbedingt die Resilienz fördert. Und wer gar allein ist, dem fehlt der kollegiale Austausch. Für Menschen, die sich das selbst aussuchen und nur ab und zu im Homeoffice arbeiten, kann das etwas Gutes sein. Aus eigener Erfahrung meine ich, Videokonferenzen können gut sein, um berufliche Dinge zu besprechen. Aber was in den Beziehungsbereich gehört wird schwierig. Sitzt man zusammen in einem Raum, spürt man, wenn jemand nicht mit einer Lösung zufrieden ist. Bei einer Videokonferenz spürt man davon nichts.

 

Kommen wir konkret zu Anzeichen für Betroffene. Wann sollten die Alarmglocken schellen?

Dazu würde ich mir drei wesentliche Fragen stellen: Frage eins: Wie geht es mir, bin ich missgestimmt, vielleicht depressiv? Frage zwei: Fallen mir Dinge schwerer, die mir früher leichter von der Hand gegangen sind? Frage drei: Habe ich keine Freude mehr an Dingen, die mir früher Freude gemacht haben?

Wenn das kein kurzfristiger Zustand ist, sondern vielleicht schon zwei Wochen zum Alltag gehört und auch noch alle Fragen mit Ja beantwortet werden, dann sollte man sich um sich kümmern, weil die Wahrscheinlichkeit einer Depression oder eines Burnouts ziemlich hoch ist.

Das Problem tritt nicht plötzlich auf, das schleicht sich ein. Natürlich hat jeder mal seinen Blues, ist freudloser, lustloser und antriebsloser. Vielleicht ist der Zustand nur vorübergehend. Aber es ist besser, sich zu häufig, als zu wenig darum zu kümmern.

 

Habe ich eine Chance, selbst gegenzusteuern?

Wer das kann, ja. Es hilft, aktiv zu werden. Genau das ist das Problem, wenn Antrieb und Sinn fehlen und Betroffene kein Selbstwertgefühl mehr haben. Hier gibts einen Unterschied zwischen Burnout und Depression, Letztere haben fast immer massive Selbstwertprobleme, suchen die Schuld bei sich. Beim Burnout sind Betroffene eher davon überzeugt, dass andere schuld sind, die Firma, die Kollegen...

Kann ich mir ganz konkret etwas Gutes tun?

Ja, aber es ist die Frage, wie tief man drinsteckt. Wer genügend Energie hat, dem hilft klassischer Ausdauersport. Das hilft bei leichten bis mittelschweren Depressionen, ebenso gut wie Medikamente.

 

Man muss das aber auch mögen...

Nein, man muss es einfach tun, das ist das Problem. Sich was Gutes tun ist wichtig. Kauft man sich Tickets für ein gutes Konzert oder ein Bett, was man sich für guten Schlaf schon immer gewünscht hat, dann ist Kaufen hilfreich. Aber wer etwas kauft, was nur in Richtung Besitz geht, was man herzeigen möchte, dem bringt das wenig. Wir nennen das demonstrativen Konsum. Beispielsweise: Ein neuer A8 wird gekauft, kurze Zeit drauf hat der Nachbar einen Ferrari. Dann bringt das nichts. Wer aus dem Kauf eine gewisse Selbstwertigkeit ziehen will, der stresst sich eher.

Insgesamt ist es so, dass Depressionen gut behandelbar sind, das gilt natürlich auch für einen Burnout. Wichtig ist, dass wieder eine Kraftquelle vorhanden ist. Bei älteren Menschen werden diese Ressourcen oft geringer. Das ist auch eine Frage der Sozialkontakte. Wer einsam ist, ist gefährdeter.

 

Angehörige und Kollegen – wie sollten sie sich verhalten, wenn sie spüren, es stimmt was nicht?

Man sieht es betroffenen Menschen nicht an, wie es ihnen geht. Auch als Facharzt kann ich die Depression ohne die Mithilfe der Patienten nicht diagnostizieren. Ich rate dazu, das Empfundene zu beschreiben, aber niemals zu werten. Beispielsweise so: 'Mir fällt auf, dass Du jetzt so lange an der Arbeit dran bist. Möchtest Du darüber reden? Kann ich Dir helfen oder Dir was Gutes tun?' Wichtig ist, nicht zu kränken. Entlastung anzubieten, hilft sicher. Aber das allein reicht oft nicht aus.

 

Was wäre denn ein Glücksfall für Betroffene?

Es gibt zwei, die sehr interessant sind. Am wichtigsten ist, dass sich Betroffene entschließen, professionelle Hilfe zu holen. Viele empfinden das Thema immer noch als Schwäche, wollen sich nicht in ihrem näheren Umfeld outen.

Zweitens ist unser Beratungsangebot – ein Programm für Firmen und Kommunen – eine interessante Unterstützung. Seit Jahren arbeiten wir regelmäßig mit interessierten Firmen zusammen, die zum einen für ihre Führungskräfte ein Coaching für den Umgang mit Betroffenen, und zum anderen Prävention für Rat suchende Mitarbeiter anbieten. Auch für Letztere übernehmen Firmen die Kosten für fünf Stunden individuelle Beratung, ohne dass die Chefs Namen erfahren.

Absolute Anonymität ist für uns die Voraussetzung, ansonsten gelingt keine Prävention. Das Fazit für uns nach den Abschlussbefragungen: Man kann mit wenig Aufwand viel Leid verhindern.

Für rund 70 Prozent der Teilnehmer konnten wir das Problem lösen. Die verbliebenen 30 Prozent vermittelten wir in am-bulante Behandlungen oder ähnliches. Sogar für Arbeit-
geber rechnet sich sehr wahrscheinlich das Modell. [ sf ]

 

Wenn man ins Grübeln kommt, sollte man ab und zu den Kontakt zu netten, verständnisvollen Menschen suchen und nicht zu viel alleine sein.
Wenn man ins Grübeln kommt, sollte man ab und zu den Kontakt zu netten, verständnisvollen Menschen suchen und nicht zu viel alleine sein.

 

Selbsttest: Wie belastet bin ich?

Anzeichen, die für Depressionen oder Burnout sprechen:

  • Konzentriertes Arbeiten fällt mir neuerdings schwer.
  • Wenn im Job etwas nicht läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, resigniere ich öfter.
  • Zeitdruck, Verantwortung, Anfragen: Oft fühle ich mich wie im Hamsterrad.
  • Ich habe einen inneren Widerstand gegen meine Arbeit, den ich jeden Tag neu überwinde. Im Alltag funktioniere ich dann wieder gut.
  • Meine Stimmung schwankt.
  • Einschlafen ist kein Problem. Aber oft wache ich nachts auf und grübele.
  • Für Freizeit, Hobbys und Familie habe ich weniger Zeit als früher. Meist nehme ich mir dafür auch keine Zeit.
  • Den persönlichen Kontakt mit Kollegen meide ich häufig, weil er Zeit raubt.
  • Mir fällt es relativ schwer, nach der Arbeit abzuschalten.
  • Ich trinke mehr Alkohol als mir gut tut.
  • Ein Wochenende reicht zur Erholung kaum aus.
Bei einer getrübten Stimmung hilft auch das regelmäßige Spazierengehen in der Natur, wenn es für regelmäßigen Sport nicht reicht. So schaffen es Körper und Geist, sich wieder zu sammeln und neue Kraft zu schöpfen.
Bei einer getrübten Stimmung hilft auch das regelmäßige Spazierengehen in der Natur, wenn es für regelmäßigen Sport nicht reicht. So schaffen es Körper und Geist, sich wieder zu sammeln und neue Kraft zu schöpfen.

Rückfragen an:

Prof. Dr. Dr. Norbert Grulke, Ärztlicher Direktor der Luisenklinik
Tel.:  +49 7726 668-032

Luisenklinik Bad Dürrheim

Luisenstraße 56

78073 Bad Dürrheim

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