An der Musikschule in Essen-Steele wird das Gitarrenspielen mit YouTube-Videos geübt.

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1. März 2022

Kultur: Lebenselixier, unentbehrlich, aber kein Luxus

Studien zeigen: Kultur ist elementarer Treiber für gelingendes Leben und Zusammenleben

Der Rat für Kulturelle Bildung sieht die Politik in der Verantwortung für die Schaffung öffentlicher Kulturräume als Bildungsräume, die allen Menschen zugänglich sind. Wie die Entwicklung kultureller Bildung gelingen kann und welche Empfehlungen dafür stehen, beschreibt der Vorsitzende des Rats, Professor Eckart Liebau, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Beim Stichwort Kultur sind die Gedanken spontan bei Oper, Schauspiel, Konzert, Kino, Kabarett. Wie weit geht das Spektrum Ihrer Arbeit?

Dass die genannten Kulturinstitutionen auch Bildungsinstitutionen sind und sein müssen, ist noch immer nicht selbstverständlich. Da gibt es erheblichen Entwicklungsbedarf. Unsere Arbeit ist so angelegt, dass alle einbezogen werden, bei denen kulturelle Bildung zum Auftrag und zur Praxis gehören. Nicht nur Kulturinstitutionen im engeren Sinne, auch die Bildungsinstitutionen der Kommunen gehören dazu, wie Musikschulen, Volkshochschule, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren und Bürgertreffs. Wesentliche Orte sind natürlich auch und gerade die Schulen und die Kindertagesstätten.

 

Ist kulturelle Bildung im eigentlichen Sinn ein Freizeitvergnügen?

Das Vergnügen gehört zweifellos zu den schönen Seiten, kulturelle Bildung geht darin aber nicht auf. Für sie gibt es zwei zentrale Begründungen, eine soziale und eine anthropologisch-personale: Erstens ist da der große Bereich der Künste, die in der Gesellschaft als ein wesentlich eigenständiger Funktionsbereich existieren. Den muss man erst mal kennenlernen können und dürfen. Zweitens geht es um die Entwicklung der individuellen Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten. Differenziert zu hören lernen wir durch Musik, differenziert zu sehen durch Bilder, uns differenziert zu bewegen durch Tanzen und Sport. Besonders wichtig ist die produktive Seite. Das Wechselspiel von Wahrnehmung und Gestaltung ist für alle Bildungsprozesse kennzeichnend. Aber in der kulturellen Bildung bildet dieses Wechselspiel einen zentralen Gegenstand.

 

Kommunen haben Wünsche und Ideen, Bund und Länder schütten projektbezogen  Fördergelder aus. Geht das immer im Einklang?

Verschiedene politische Ebenen haben verschiedene Aufgaben. Die Frage ist, wie die Dinge gefördert werden und wie sie danach sichtbar sind. Das ist vor allem eine Frage, ob es in kommunalen Haushalten spezifische Stellen für kulturelle Bildung gibt, ob das gesondert ausgewiesen wird oder nicht. Der Rat vertritt die Vorstellung, dass kulturelle Bildung ein öffentliches Gut ist und zu den Pflichtaufgaben des Staates auf allen Ebenen, also genauso der Kommunen gehören sollte, auch im Blick auf die Projektarbeit.

 

Daniel Plum, Leiter der Kinderbibliothek Essen, erläutert das interaktive Programm „Biparcours“, mit dem sich die Essener Stadtbibliothek spielerisch entdecken lässt.

Daniel Plum, Leiter der Kinderbibliothek Essen, erläutert das interaktive Programm „Biparcours“, mit dem sich die Essener Stadtbibliothek spielerisch entdecken lässt.

 

In den Empfehlungen des Rates werden für kulturelle Orte häufig die Innenstädte genannt. Bleiben heftig diskutierte Themen wie ÖPNV und Verkehrsdichte außen vor?

Der Wandel der Innenstädte hat viele Gründe, Corona ist nur einer. Die Frage nach der Weiterentwicklung der Innenstädte ist schwierig. Als Tendenz deutet sich an, dass sich hier eine neue Mischung etablieren sollte – aus Wohnen, Handel, Kultur und Freizeit, politischen und sozialen Aktivitäten. Ein Beispiel ist die Umwandlung von ungenutzten Räumen für kulturelle Zwecke, für Ateliers oder Übungsräume. Und im öffentlichen Raum sollte es viele kleine Treffpunkte mit Grün und Bänken geben. Wichtig ist, mit neuen gemischten Formen zu arbeiten: Dabei geht es um das Zusammenführen von Generationen, von verschiedenen sozialen Gruppen, auch unter interkulturellen Aspekten. Man muss sich in den Innenstädten begegnen, auch mal für sich sein und sich mit einem attraktiven ÖPNV gut bewegen können.

 

Stadt und Land – sind beide differenziert zu betrachten?

Ja, das ist eine der wirklich großen Herausforderungen mit Blick auf die kulturelle Bildung, weil ländliche Strukturen, was die Ausstattung mit Institutionen betrifft, völlig anders sind. Auf der anderen Seite hat man auf dem Land andere Möglichkeiten, dass verschiedene Gruppen zueinanderkommen. Da sind Wirtshäuser oder Biergärten, in denen sich alle gegenseitig zumindest wahrnehmen. Hier gibt es andere Integrationsebenen als in den Städten. Die Digitalisierung macht aber die Grenzen für die kulturelle Bildung zwischen Stadt und Land in mancher Hinsicht durchlässiger.

 

Der Rat hat drei große Themen auf seiner Agenda:  Kulturort Schule, Kulturraum Kindheit und Jugend, Kulturpolitik. Wie können die Empfehlungen in der Praxis gelingen?

Unsere Studien zeigen deutlich, dass es bei Fragen nach der Finanzierung und strukturellen Förderung entscheidend ist, welche Haltung die politisch Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen zu dem Thema haben. Es geht um die Haltung zu den Prioritäten. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass auch in Kommunen, in denen die Finanzen nicht so toll sind, kulturelle Bildung dennoch einen hohen Stellenwert haben kann. Es ist die Frage, wie attraktiv sich eine Kommune für ihre Bürger macht und machen will. Im Gemeinderat sollte diskutiert werden, welche Bedeutung das Thema im Ort haben soll. Berühmtestes Beispiel ist Oberammergau. Die Passionsspiele haben eine zentrale Bedeutung für die Gemeinde. Und mit widerstreitenden Interessen muss man sich immer auseinandersetzen.

 

 

Wo hat das Dilemma für eine gute Idee seinen Ursprung, nach dem Motto: schön gedacht, schlecht gemacht?

Das fängt bei Einladungen zu kulturellen Veranstaltungen an, die man leicht abschreckend gestalten kann. Plakate oder Flyer können mit Fremdwörtern oder einem unverständlichen Bild oder Symbol gespickt sein. Dann gibt das keinen großen Publikumserfolg. Gelegentlich sind Texte aus Kulturinstitutionen wenig einladend. Dabei ist die Sprache ein wichtiges Thema. Zielgruppenorientiert muss man die richtige einsetzen.

 

Zu guter Letzt: Wie würden Sie den Satz vollenden: Kultur ist für mich…

… eine der zentralen Lebensgrundlagen. [ sf ]


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17. April 2024


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