Wenn das Deichsystem aus dem 19. Jahrhundert stammt…
Der Hochwasserschutz im Mangfalltal von Feldkirchen-Westerham bis Rosenheim ist ein Mammutprojekt zum Schutz tausender Bürger
Zu Projektbeginn im Jahr 2000 lebten nach Berechnungen 42.000 Bürger im Überschwemmungsgebiet eines hundertjährlichen Hochwassers der Mangfall. Es bestand ein Schadenspotenzial von circa einer Milliarde Euro (das entspricht etwa 18.600 Gebäuden). Die bestehenden Deiche waren zu niedrig, nicht befahrbar, teils nicht standsicher und eine Deichverteidigung nicht möglich. Auch frühere Hochwasser zeigten immer wieder das enorme Schadenspotenzial, zuletzt beim Hochwasser 2013 im Stadtteil Oberwöhr.
Die Mangfall entspringt dem Tegernsee und mündet nach etwa 60 Kilometern in Rosenheim in den Inn. Das HQ 100 der Mangfall in Rosenheim liegt bei 480 Kubikmetern pro Sekunde.
Das Hochwasserschutzprojekt besteht aus dem Hochwasserrückhaltebecken (HRB) Feldolling und anschließendem Linienschutz. Unmittelbar unterhalb des Zuflusses der Leitzach und oberhalb des maßgebenden Siedlungsraums von Bruckmühl bis Rosenheim ist das Rückhaltebecken günstig gelegen. Direkt im Anschluss des Beckens beginnt der rund 26 Kilometer lange Linienschutz mit Deichen und Mauern sowie Deichrückverlegungen. Der Linienschutz ist auf ein Bemessungshochwasser HQ100 bemessen. Das Rückhaltebecken deckt einen zusätzlichen Klimazuschlag (+15 Prozent) ab und kompensiert potenzielle Verschlechterungen durch den Ausbau des Linienschutzes für Unterlieger.
Hochwasserrückhaltebecken Feldolling
Als elementarer Bestandteil des Hochwasserschutzes im unteren Mangfalltal, können mit dem HRB in Feldolling extreme Hochwasserereignisse entschärft werden, indem insgesamt 6,62 Millionen Kubikmeter Wasser zurückgehalten werden. Mit integriert in das Projekt wurden die bestehenden Unterwasserbecken der Leitzachkraftwerke (Pumpspeicherkraftwerk) der Stadtwerke München. Diese werden vor dem Hochwasser rechtzeitig entleert und dienen bei Hochwasser dann als Rückhalteraum.
Bei der Planung wurde darauf geachtet, zugleich ökologische Verbesserungen zu erreichen. Das gelingt etwa durch eine Deichrückverlegung auf Höhe des Zulaufgerinnes oder durch eine naturnahe Gestaltung der Dammböschungen.
Hochwasserschutzdeiche und -Mauern entlang der Mangfall
Die Mangfall war in das Korsett eines völlig ungenügenden Deichsystems aus dem 19. Jahrhundert gezwängt, hinter dem sich die Siedlungen (drei Städte, zwei Gemeinden, 125.000 Einwohner) intensiv entwickelt hatten. Das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim entwickelte um 2000 ein Hochwasserschutzkonzept über 26 Kilometer Länge, bei dem die integralen Ziele der „LAWA-Hochwasser-Leitlinien“ und wegen erheblicher ökologischer Defizite die Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie konsequent zugrunde gelegt wurden. Ebenso wurde die Sozialfunktion ganz im Sinne des heutigen Bayerischen Gewässer-Aktionsprogramms 2030 (kurz: PRO Gewässer 2030) gleich mitgedacht. Die Mangfall ist ein wichtiger Erholungsraum und gleichzeitig eine wichtige „Fahrradverkehrsachse“ zwischen den Kommunen. Das Projekt besteht aus 40 einzelnen Bauabschnitten, die jeweils Komponenten des technischen Hochwasserschutzes, des natürlichen Hochwasserrückhalts und Gewässerstrukturmaßnahmen umfassen.
Eckdaten zu den Leitzachwerken:
- Rückhaltevolumen: 6,6 Mio. m³, davon
- 4,6 Mio. m³ im neuen Hauptbecken und
- 2,0 Mio. m³ in den Unterbecken des PSW Leitzach
- Länge der Linienbauwerke: ca. 4 km
- Dammkubatur: ca. 650.000 m³
- max. Dammhöhe: ca. 11 m
- max. Wassertiefe: ca. 9 m
- Stauziel im HRB bei Vollstau liegt um bis zu 7 m über dem Wasserspiegel der Mangfall bei HQ 100
- Einleitungsmenge rund 140 m³/s theoretisch, etwa 40% des HQ 100 Scheitelabflusses
- Baukosten rund 75 Mio. Euro
- Bauzeit: 2019 bis voraussichtlich 2024/25 mit vorgezogenen ökologischen Maßnahmen ab 2017
Durch die Hochwasserschutzbauwerke, die seit dem Projektstart im Jahr 2000 umgesetzt wurden, ist aktuell kein Gebäude im gesamten Mangfalltal bei einem HQ100 mehr betroffen. 95 Prozent aller Hochwasserschutzbauwerke wurden bereits errichtet.
Bei der Ertüchtigung des alten Deichsystems wurden die Deichlinien – wo möglich – von der Mangfall abgerückt. Dadurch wird der teilweise noch vorhandene Auwald wieder häufiger an das Überschwemmungsgeschehen angebunden, beziehungsweise kann sich neuer Auwald entwickeln. Teilweise wurde in diesen Bereichen mit Rücksicht auf die Sicherheit der Deiche auch der vorhandene Uferverbau der Mangfall entfernt und das Gewässerbett aufgeweitet.
Die umgesetzten Maßnahmen – insbesondere die Gewässeraufweitungen – verbessern auch die Zugänglichkeit der Mangfall. Das Gewässer ist nunmehr besser erlebbar, das wiederum kommt der Erholungsfunktion zugute.
Mittlerweile brütet im Stadtgebiet von Rosenheim an den neu entstandenen Uferanbrüchen der Eisvogel. Davor laichen im Frühjahr unzählige Nasen (Fischart) ab, und auf den neu entstandenen Kiesinseln tummeln sich die Sonnenanbeter – nicht ganz ohne Konfliktpoteztial. Neue Hinweistafeln, temporäre lokale Absperrungen und gegenseitige Rücksichtnahme sollen hier Abhilfe schaffen… und dann bietet die Mangfall Platz für alle.
Trotzdem ist das Mangfalltal nach wie vor ein Hochwassergefahrenbereich. Es können außergewöhnliche Hochwasserereignisse eintreten, für die der hergestellte Hochwasserschutz-Standard nicht ausreicht. Ebenso bleibt die Mangfall ein Wildfluss und beim Baden ist erhöhte Vorsicht und vor allem die Beaufsichtigung von Kindern geboten.
Christoph Wiedemann, Wasserwirtschaftsamt Rosenheim
Weitere Informationen zum HRB unter:
www.hochwasserschutz-mangfall.de
www.wwa-ro.bayern.de/hochwasser/hochwasserschutzprojekte/mangfalltal