Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI entwickelt unter der Leitung von Henri Meeß ein neues KI-gestütztes System zur Optimierung der Ampelsteuerung.

Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI entwickelt unter der Leitung von Henri Meeß ein neues KI-gestütztes System zur Optimierung der Ampelsteuerung.

28. September 2023

Dank künstlicher Intelligenz schneller durch die Stadt

Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI entwickelt Methoden für optimierte Verkehrsführung

Entspannt und umweltfreundlich durch die Stadt – davon träumen viele. Meist sieht es jedoch anders aus. „Stop-and-go“ gehören zum Alltag. Kaum war Grün, kommt schon die nächste rote Ampel. Das müsste nicht sein. Intelligente Ampeln versprechen schon lange die begehrte grüne Welle. Allerdings funktionieren diese intelligenten Ampeln nur dann perfekt, wenn das Verkehrsaufkommen statisch bleibt und sich alle Fahrer an eine vorgegebene Durchschnittsgeschwindigkeit halten.

Das soll sich nun mithilfe von KI (Künstliche Intelligenz) ändern. Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI entwickelt unter der Leitung von Henri Meeß ein neues KI-gestütztes System zur Optimierung der Ampelsteuerung, das mit RL (Reinforcement Learning/selbstbestärkendes Lernen) arbeitet. Darunter verstehen Fachleute ein maschinelles und auf einer Belohnungsfunktion aufgebautes Lernen. Der Vorteil: Bei RL sind im Vorfeld keine Daten nötig. Die KI macht sich mithilfe von Trial-and-Error-Abläufen selbst ein Bild. Dabei spielen folgende Komponenten eine wichtige Rolle: Der „Agent“ führt die Aktionen aus und bekommt bei Erfolg eine Belohnung („Reward“). Dazu muss der Agent Simulationsszenen (das „Environment“) erkunden. Die Rewards bestehen weder aus Streicheleinheiten noch aus Lob, denn künstliche Intelligenz ist vollkommen emotionsfrei. Ein Reward ist nur ein unmittelbares Feedback zur ausgeführten Aktion. Rein theoretisch funktioniert das prima, nur die Umsetzung in die Praxis galt bisher als große Herausforderung.

Henri Meeß ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Anwendungszentrum VMI des Fraunhofer-Institutes für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI.

Henri Meeß ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Anwendungszentrum VMI des Fraunhofer-Institutes für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI.

In einem Gespräch mit KOMMUNALtopinform erklärt Henri Meeß, was von diesem Verkehrsführungssystem der Zukunft zu erwarten ist.

KOMMUNALtopinform: Wie schnell kann die KI mithilfe von RL etwas lernen? Dauert es Wochen oder nur Stunden, bis dieses Verkehrsführungssystem einen realistischen Überblick von der Verkehrssituation hat?
Henri Meeß: Die Dauer des Trainings von RL-Agenten ist unterschiedlich und stark von der Komplexität des Problems abhängig. Dazu kommt, dass die verfügbare Rechenleistung und die Dauer der Ausführung einer Aktion einen starken Einfluss auf die Trainingsdauer haben. Daher trainiert man RL üblicherweise zunächst anhand von Simulationen, um anschließend die erlernten Strategien auf die Realität zu übertragen. Dabei ist aber davon auszugehen, dass der Übertrag nicht perfekt funktioniert und in der Realität nachtrainiert werden muss, man spricht vom Sim-to-Reality-Gap. Wenn wir einzelne Agenten trainieren, dauert das in der Regel mehrere Stunden. Dies ist aber der Entwicklungsprozess. Das Auto musste auch erst entwickelt werden, bevor es am Fließband produziert werden konnte. Aufwendig ist in der Regel die Erzeugung der Simulation, da diese für unsere reale Umsetzung sehr nah an der Realität sein sollte. Wenn man Multi-Agenten-Systeme trainiert, kann das Training durchaus mehrere Tage dauern. Dazu muss man aber sagen, dass wir uns hier in einer Prototypenphase befinden, und diese Zeiträume zukünftig deutlich sinken können.

Sie sprechen von einem „Agenten“ und einem Multi-Agenten-System. Kann sich der Laie darunter einen normalen Computer mit einer KI-Software vorstellen? Wäre dieser „Agent“ an jeder Ampelkreuzung, oder gibt es dafür eine Zentrale? Wie sieht das rein optisch in der Praxis aus?
Ein Agent ist nichts anderes als ein neuronales Netz, das auf einem Computer ausgeführt werden kann. In unserem Modell hat jede Kreuzung einen eigenen Agenten. Die Agenten würden aber alle von einem Computer in der Verkehrszentrale ausgeführt werden. Pro Kreuzung gibt es einen Agenten, aber alle Agenten laufen auf einem Computer in der Zentrale und kommunizieren ihre Entscheidungen lediglich über bestehende Kommunikationskanäle an die Ampeln an den jeweiligen Kreuzungen. Rein optisch merkt man keinen Unterschied, alles läuft digital.

Seit wann arbeitet das Fraunhofer IVI an diesem Modell?
Die Arbeiten haben mit ersten Studien Anfang 2021 begonnen. Intensiv wird auf dem Feld seit Mitte 2021 gearbeitet.

Kann man damit rechnen, dass diese Theorie aufgrund der neuesten Entwicklungen bald in die Praxis umgesetzt werden kann?
Ja, die ersten realen Implementierungen an einem Pilotsystem, bestehend aus drei Kreuzungen in Ingolstadt, sind für Ende 2023 geplant.

Gibt es bereits konkrete Pläne für einen Einsatz im wirklichen Leben oder sogar Städte, die daran interessiert sind?
Es gibt einige Städte, die grundsätzlich Interesse an KI-basierten Systemen zur Verbesserung der Ampelsteuerung haben. Ein weiteres Pilotprojekt von uns läuft bereits im Hamburger Hafen, dort kombinieren wir RL und Quantum Computing. Ingolstadt hat da aber auch eine breite Historie und schon einige Projekte auf diesem Feld hinter sich. Weitere Städte haben bereits ihr Interesse daran bekundet.

Es gibt noch andere Universitäten, die mit der Entwicklung dieser Methode arbeiten. Worin unterscheidet sich die Arbeit am Fraunhofer IVI?
In der RL-Grundlagenforschung ist die Optimierung von Verkehr ein sehr beliebtes Feld. Bisher waren die Resultate jedoch nicht auf die Realität übertragbar. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir haben RL so umgesetzt, dass es mit den bestehenden Verkehrssteuerungen funktioniert. Gleichzeitig können wir über unseren Ansatz die Sicherheit des Verkehrs garantieren und sind nicht auf zusätzliche Sensorsysteme für die Erfassung von Verkehrsteilnehmern angewiesen.

Das Interview führte Ingrid Raagaard.

Zeitlich sinnvoll eingestellte Ampeln können den Verkehrsfluss in größeren Städten deutlich entzerren und auch beruhigen.

Zeitlich sinnvoll eingestellte Ampeln können den Verkehrsfluss in größeren Städten deutlich entzerren und auch beruhigen.

Weitere Informationen und Kontakt für Rückfragen:

Henri Meeß
Gruppenleiter „Hochautomatisiertes Fliegen“
Telefon +49 172 5169897

Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI

Anwendungszentrum »Vernetzte Mobilität und Infrastruktur«

Technische Hochschule Ingolstadt
Esplanade 10 in 85049 Ingolstadt

www.ivi.fraunhofer.de/de/forschungsfelder.html#Anker01

Staus gehören zum Alltag fast aller größeren Städte, auch zu München – wie im Bild zu sehen ist. Abhilfe könnte auch hier künstliche Intelligenz schaffen.

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17. April 2024


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