Den Ruhestand können manche Senioren nicht genießen. Mitunter muss jeder Cent umgedreht werden.

Den Ruhestand können manche Senioren nicht genießen. Mitunter muss jeder Cent umgedreht werden.

11. August 2023

Die armen Alten

Frühzeitiges Handeln ist gefragt: Das Deutsche Institut für Urbanistik sieht eine Aufgabe für die Spitze der Verwaltung / Wächst die Notlage?

Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, den gewohnten Lebensstandard im Alter nicht halten zu können. Insgesamt erwarten 70 Prozent eine große Versorgungslücke. Das geht aus der jüngsten Befragung im Auftrag der R+V Versicherung hervor. Männliche und weibliche Senioren sind bereits jetzt die Altersgruppe, deren Armutsrisiko am stärksten zunimmt, sagen Armutsforscher. Damit Altersarmut, insbesondere in Städten, nicht steigt, müssen sofort die politischen Weichen gestellt werden.

 

Wie gehen Kommunen mit der Problematik um? Haben sie eine Chance gegenzusteuern? Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat vor Corona in drei Städten exemplarische Fallstudien erstellt. Für KOMMUNALtopinform sprach Georg Dlugosch mit der Forscherin Dr. Beate Hollbach-Grömig über die aktuelle Situation.
In Bielefeld, Hamm und Kiel hat das Difu untersucht, welchen Benachteiligungen alte Menschen unterworfen sind. Die drei Kommunen „waren vor der Pandemie stark engagiert, das Thema in die Breite zu tragen“, berichtet Hollbach-Grömig, „diese Anstrengungen wurden durch Corona selbstverständlich beeinträchtigt.“ Denn die Gefahr durch Covid-19 hat selbstverständlich starke Konsequenzen aus den Bereichen Teilhabe, Kommunikation, soziale Kontakte und Gesellschaft auf die Problematik gehabt.
Jetzt intensiviert sich die politische Beschäftigung mit dem Thema wieder, allerdings hat sie den Eindruck, „es ist schwieriger geworden, das Problem anzupacken.“ Schon vorher war deutlich geworden, dass zwar Indizien darauf hindeuten, dass die Notlage wächst, aber bisher haben Kommunen Altersarmut kaum als eigenes Handlungsfeld identifiziert. Hinzu kommt, dass das Thema schambehaftet ist – eine hohe Dunkelziffer ist die Folge. Folglich muss auch das Wissen lückenhaft bleiben.

Städte haben bislang kein Instrumentarium entwickelt, um Situationen von Armut zu erkennen oder gar zu lindern. Selbst innerhalb einer Stadt gibt es erhebliche Unterschiede. „Dennoch ist es eher ein Großstadtthema“, erläutert Hollbach-Grömig, „denn Städte sind tendenziell teurer.“ Ausgenommen sind bisher die ostdeutschen Städte: „Sie sind tendenziell bisher weniger betroffen.“ Im ländlichen Raum dominieren andere Aspekte. Da ist die Lebenshaltung günstiger und es sind geeignete Sozialstrukturen vorhanden, die Menschen stärker auffangen können. Stattdessen spielt der Komplex „verschämte Armut“ eine stärkere Rolle. Der steigende Zuspruch bei den Tafelvereinen lässt die Tendenz zur verstärkten Nachfrage erkennen.

 

Wenn die Rente nicht mehr reicht, um die Miete zu bezahlen, muss manch einer auf der Straße übernachten.

Wenn die Rente nicht mehr reicht, um die Miete zu bezahlen, muss manch einer auf der Straße übernachten.

 

Überschuldung bei älteren Menschen häufiger

Ein weiterer Indikator ist die Zahl der überschuldeten Haushalte, bei denen Menschen über 70 Jahre stärker betrof-
fen sind. So rückt das Thema Armut auch in der Wahrnehmung der Oberbürgermeister in den Vordergrund. Zwar verdient diese Frage eine größere Aufmerksamkeit, aber die Kommunen verfügen nicht über die notwendigen Daten, wer von Armut betroffen sein könnte. Bezugsberechtigte stellen aus Scham oder Unwissenheit keinen Antrag auf Grundsicherung im Alter und werden deshalb nicht von der Statistik erfasst.

Zentrale Handlungsbereiche sind Wohnen, Mobilität und soziale Infrastruktur. Bielefeld beispielsweise unterstützt stärker bei den Kosten für die Unterkunft. Zur Unterstützung der Mobilität im Alter können Sozialtickets, Mitfahrgelegenheiten oder ehrenamtliche Begleitung dienen. „Das Quartier wird zur zentralen Handlungsebene“, sagt die Wissenschaftlerin. Dort kann man auch Menschen identifizieren, die unterschiedliche Sprachen sprechen oder von latentem Analphabetismus betroffen sind.
Wichtig sei es, bei den vorhandenen Beispielen zu erkennen, was übertragbar ist. In Städten wie Karlsruhe, Stuttgart und München geschehe viel, ebenso in kleineren Orten wie Ravensburg oder Amtzell. Dafür muss sich die Spitze der Kommunalverwaltung engagieren, damit das Thema im öffentlichen Bewusstsein verankert und aus der Tabu-Zone herausgeholt wird. Frühzeitige Prävention sei notwendig, betont Hollbach-Grömig, damit Kinder in Armut nicht in die Einbahnstraße zur Altersarmut geraten. „Auch Bund und Länder sind in der Pflicht“, betont Hollbach-Grömig.

Die Dringlichkeit des Handelns wächst jedes Jahr. Der politische Trend zum Klimaschutz rückt eine bisher unverdächtige gesellschaftliche Gruppe in den Vordergrund. Einige Eigenheimbesitzer werden durch die Diskussion um den Zwang zur Heizungsmodernisierung mit der Furcht vor hohen Kosten konfrontiert. Kommunen dürfen vor diesen Problemen die Augen nicht verschließen. Steigende Preise und Kreditzinsen werfen große Schatten. Rentenentwicklung und Zuwanderung erfordern andere Verteilmechanismen als bisher.
Der Sozialstaat müsse ausgebaut werden, damit Menschen auch im Alter in Würde leben können, fordern Armutsforscher. Menschen mit kleinen Renten sind durch die steigenden Energiepreise besonders betroffen. Fehlendes Geld führt zur Vereinsamung der Betroffenen, da sie weniger Beteiligungsmöglichkeiten haben. Dann geht der Zusammenhalt der Gesellschaft verloren. „Es ist essenziell, dass Kommunen frühzeitig präventive Maßnahmen ergreifen“, drängt Hollbach-Grömig auf Konsequenzen aus der Studie. Schlüssige Konzepte werden als Handlungsgrundlage
gebraucht.  [ dlu ]

 

Trotz der 40-jährigen Berufstätigkeit sind etliche Rentner gezwungen, sich ein Zubrot zu verdienen.

Trotz der 40-jährigen Berufstätigkeit sind etliche Rentner gezwungen, sich ein Zubrot zu verdienen.

 

Für Rückfragen wenden Sie sich am besten an:

Frau Dr. Beate Hollbach-Grömig
am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin
Forschungsbereich Stadtentwicklung, Recht und Soziales
Tel.: +49 (0)30 39001-293
E-Mail: hollbach-groemig@difu.de


difu-Logo - Logo des Institutes - Deutsches Institut für Urbanistik

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