Ob Gemeinden genügend Kitaplätze garantieren können?
KOMMUNALtopinform hat mehrere Experten befragt, die sich mit dem Thema „Kinderbetreuung“ beschäftigen und den damit zusammenhängenden Herausforderungen auseinandersetzen müssen.
Wohin mit den Kleinen? Diese Frage stellen sich immer mehr Eltern. Nicht wenige träumen von Familienzuwachs und verschieben ihn, weil sie nicht wissen, wie sie in Zukunft Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen sollen. Laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung fehlen im Jahr 2023 bundesweit 383.000 Plätze. Dabei mangelt es oft gar nicht an Platz, Geld oder gutem Willen – es fehlt an Personal.
Insgesamt müssten bundesweit über 90.000 neue Betreuungsstellen besetzt werden. Erst dann wäre der Bedarf gedeckt. Besonders kleinere Gemeinden tun sich schwer, die gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen zu erfüllen.
Was könnte man dagegen tun? Drei Experten haben sich zu dieser Frage geäußert. Bettina Stäb, Leiterin der Stabsstelle „Frühkindliche Bildung und Soziales“ beim Gemeindetag Baden-Württemberg, ist eine von ihnen.
Der Fachkräftemangel wird noch lange anhalten
Bettina Stäb: „Daher fordern wir für Träger mehr Handlungsoptionen.“
„Die Zahl der betreuten Kinder in den Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg nahm in den letzten fünfzehn Jahren um rund 20 Prozent zu. Dieser Zuwachs bezieht sich sowohl auf die Altersgruppe der unter dreijährigen Kinder als auch auf die Drei- bis Sechsjährigen und die Schulkinder, die in Kitas betreut werden. Hinzu kommen die Ausweitungen der Öffnungszeiten und der Ausbau der Ganztagsbetreuung.
Die Kommunen haben in den letzten Jahren viele Anstrengungen unternommen und auch viel Geld in die Hand genommen, um den Ausbau der Betreuung voranzubringen, die Qualität der Einrichtungen weiterzuentwickeln, und zur Attraktivität des Berufsfeldes beigetragen. Seit 2007 hat sich die Zahl der in Kitas tätigen pädagogischen Fachkräfte mehr als verdoppelt. Die Zahl der Auszubildenden für den Erzieherinnenberuf hat sich in derselben Zeit um über 80 Prozent auf rund 5.500 pro Jahr erhöht. Auch wurden bessere Rahmenbedingungen geschaffen.
Die Erhöhungen des Mindestpersonalschlüssels in den Jahren 2010 und zuletzt im Jahr 2020 mit der landesweiten Einführung der Leitungszeit tragen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fachkräfte und Qualitätsverbesserung in den Kitas bei. Seit der Einführung des SuE-Tarifs im Jahr 2005 stiegen die Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher um über 63 Prozent überdurchschnittlich, zusätzlich wurde die Bezahlung der Kita-Leitungen verbessert. Insgesamt investieren Kommunen heute dreimal so viel in die Kindertagesbetreuung wie im Jahr 2007. Es gibt kaum Branchen, die vergleichbare Entwicklungen vorweisen können.
In den letzten Jahren zeigte sich jedoch immer deutlicher, dass der Platz- und Fachkräftebedarf schneller wächst, als der Ausbau voranschreiten kann und die Maßnahmen zur Personalbindung und -gewinnung nicht ausreichen. Folgen dieser Entwicklungen sind, dass immer mehr Familien kein bedarfsgerechtes Platzangebot in Sinne des Gesetzgebers erhalten, Öffnungszeiten reduziert werden müssen, Fachkräfte in den Kitas über Überlastung klagen und der weitere Ausbau ins Stocken geraten ist.
Der bestehende Rechtsanspruch kann leider vielerorts faktisch nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden. Dabei ist das keine Problematik, die mit der Größe der Gemeinde in Korrelation steht.
Vor dem Hintergrund des für voraussichtlich viele Jahre anhaltenden Fachkräftemangels und der örtlich sehr unterschiedlichen Ausprägungen der Auswirkungen, fordern wir für Träger mehr Handlungsoptionen sowie eine höhere Flexibilität, was die Besetzung von Stellen und die Unterstützung der vorhandenen Fachkräfte anbelangt. Daher haben wir die vom Land für das aktuelle Kindergartenjahr 2022/2023 festgelegten Maßnahmen des Kultusministeriums wie den Einsatz von geeigneten Kräften für bis zu 20 Prozent der Fachkraftanteile im Mindestpersonalschlüssel oder die Option, zwei Kinder pro Gruppe mehr aufzunehmen, begrüßt. Ebenso gehen die Anpassung der „Fachlichen Hinweise zur Sanitärausstattung in Kindertageseinrichtungen“ des Landesgesundheitsamts mit Ausnahmeregelungen aufgrund des derzeit erhöhten Platzbedarfs und die Ankündigung des KVJS-Landesjugendamtes, das Betriebserlaubnisverfahren zu vereinfachen, in die richtige Richtung.
Uns ist bewusst, dass diese Maßnahmen für die Einrichtungen eine Herausforderung darstellen. Sie sind jedoch wichtige Handlungsoptionen, die Kommunen und Träger brauchen, um schnell auf einen Mehrbedarf an Plätzen oder eine Unterbesetzung der Kita reagieren zu können.
Neben diesen Maßnahmen brauchen wir auch eine langfristig tragbare Strategie, um den anhaltenden Platz- und Fachkräftebedarf abzufedern, damit allen Kindern der Besuch einer Kita ermöglicht werden kann, Eltern ein verlässliches Betreuungsangebot bekommen und das pädagogische Personal in den Kitas mit Freude ihren Aufgaben gerecht werden kann.“
Kontakt:
Gemeindetag Baden-Württemberg e.V.
Bettina Stäb, Leiterin der Stabsstelle „Frühkindliche Bildung und Soziales“
Panoramastraße 31
70174 Stuttgart
Tel.: +49 711 225 72-20
bettina.staeb@gemeindetag-bw.de
www.gemeindetag-bw.de/internet/themen/bildung-betreuung
Weitere Statements zum Thema von:
– Walter Beyer, stellvertretender Landesvorsitzender des VBE in Baden-Württemberg
– Marko Kaldewey, Landesvorsitzender des Deutschen Kitaverbandes in Baden-Württemberg
Wir bedanken uns ganz herzlich dafür!
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