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11. Dezember 2023

Welche Besonderheiten zeichnen starke, produktive Städte aus?

KOMMUNALtopinform fragte unter anderem nach, wie sich starke Kommunen von anderen abheben können

Es gibt Städte, in denen jeder leben möchte. Die Wirtschaft blüht, und in den Zentren pulsiert das Leben. Und dann gibt es Kommunen, die mit leer stehenden Büro- und Geschäftsräumen zurechtkommen müssen, kaum Zuwanderer haben und in denen auch unter der Woche die Stadtkerne wie ausgestorben wirken. Starke Städte punkten mit hoher Lebensqualität, während schwache Städte mit zahlreichen Problemen kämpfen müssen. Denn wenn erst die Geschäfte leer stehen und Arbeitsplätze verschwinden, stirbt auch langsam das kulturelle Angebot, und statt Lebensfreude ist tagtägliche Tristesse angesagt. Was kann man dagegen tun?

 

Dr. Saskia Goldberg ist Projektleiterin im Bereich Stadtentwicklung bei der imakomm an den beiden Standorten Aalen und Stuttgart. Das Institut hat seit dem Jahr 2000 über 500 Kommunen erfolgreich begleitet. Goldberg ist Sozialwissenschaftlerin der Universität Stuttgart und Postdoc an der KU Leuven (Belgien).

 

Neue Wege zu starken Städten und produktiven Innenstädten

Portraitfoto von Saskia Goldberg

Saskia Goldberg ist Projektleiterin im Bereich Stadtentwicklung bei der imakomm an den beiden Standorten Aalen und Stuttgart.

Saskia Goldberg: „Erfolgsfaktoren sind eine abgestimmte Strategie mit Priorisierung von Umsetzungsschritten und eine empathische, kooperative Stadtentwicklung.“

Gäbe es den goldenen Weg hin zu einer starken Stadt beziehungsweise produktiven Innenstadt, gäbe es die Frage danach gar nicht erst. Sie wäre gelöst. Die Schwierigkeit besteht nämlich schon in der Definition einer „starken“ Stadt und „produktiven“ Innenstadt. Wichtig ist die Relativierung: Je nach Vorprägungen der Kommunen wie Größe, zentralörtliche Funktion, Medianalter, Kaufkraft, Leerstandsquote und anderen Besonderheiten können die Attribute „stark“ oder „produktiv“ sehr unterschiedlich zugeschrieben werden. Gleichwohl kristallisieren sich einzelne Elemente in der Praxis heraus, die den Weg hin zu einer starken Kommune, egal welcher Vorprägungen, erleichtern (= Erfolgsfaktoren) oder behindern (= Stolpersteine):

 

1. Ohne Strategie und Priorisierung fällt das Kind in den Brunnen. Experimentieren hat Hochkonjunktur. Seien es Pop-up-Stores in den innerstädtischen Leerständen oder ergebnisoffene und innovative Bürgerprojekte in der Gesamtgemeinde. Das Ausprobieren von Lösungen ist richtig und wichtig. Dennoch bedarf es für die Kommune aber auch klarer Schwerpunkte und Ziele. Zwingend ist eine anpassbare, von vielen getragene und gemeinsam erarbeitete Strategie. Ansonsten fehlen Verwaltung und Kommunalpolitik, Bürgerschaft und Wirtschaft eine gewisse Planungs- und Entscheidungssicherheit und die Orientierung. Wichtig dabei ist die Priorisierung von Umsetzungsschritten. Fehlt diese, kann es der Verwaltung nur schwer gelingen, zeitlich abgestimmt und bei knappen personellen und finanziellen Ressourcen sowohl kommunale Pflichtaufgaben als auch weitere Aufgaben, die von den Zielgruppen als „Pflicht“ empfunden werden, zu stemmen. Ein gutes Beispiel stellt die baden-württembergische Gemeinde Mögglingen mit 4.400 Einwohnern im Ostalbkreis dar. Gerade weil auch haushalterische Herausforderungen bestehen, gab sich die Gemeinde eine sehr klare Entwicklungsstrategie mit Schwerpunkten und Kernprojekten, die gemeinsam mit der Bürgerschaft umgesetzt wird.

 

2. Nachhaltige Entwicklung nun wirklich. Jene Kommunen, die den scheinbar nicht auflösbaren Widerspruch zwischen Ökonomie, Sozialem und Ökologie angehen, werden stark sein. Denn in der Praxis war jahrzehntelang eine Unwucht hin zu ökonomischen Argumenten (Arbeitsplätze, Gewerbesteuereinnahmen) feststellbar. Vereinzelt wird nun massiv eine Unwucht hin zur Ökologie eingefordert. Die Kommunen müssen aber Maßnahmen angehen, die allen drei Extremen von Nachhaltigkeit gerecht werden. Und dies funktioniert auch, indem die Kriterien hierfür greifbar gemacht werden und bei investiven Maßnahmen daraufhin unkompliziert abgeprüft werden. Ein gutes Beispiel ist der kurz vor dem kommunalpolitischen Beschluss stehende Gemeindeentwicklungsplan in der Gemeinde Plüderhausen mit 9.800 Einwohnern im Rems-Murr-Kreis. Hier sollen künftig alle Maßnahmen einem „Nachhaltigkeitscheck“ unterzogen werden. Damit werden beispielsweise auch Flächenversiegelungen dann möglich, wenn die Bebauung anders, besser und mit weniger Ressourceneinsatz als bisher erfolgt (= Suffizienzkriterien).

 

Marktbrunnen bei der Staufenhalle in Plüderhausen im Jahr 2020

In der Gemeinde Plüderhausen mit 9.800 Einwohnern im Rems-Murr-Kreis sollen künftig alle Maßnahmen einem „Nachhaltigkeitscheck“ unterzogen werden.

 

3. Kommunen brauchen Handlungsspielräume, um handlungsfähig zu bleiben. Hemmende Faktoren sind zahlreich vorhanden: von Personalmangel über wenig (rechtliche) Handlungsmöglichkeiten bei der Flächenentwicklung bis hin zu den Finanzen. Die kommunale Handhabe bei Leerständen in der Innenstadt ist kaum vorhanden. Die Flächenentwicklung beispielsweise für ortsnahe Arbeitsplätze am bestehenden Gewerbegebiet scheitert nicht selten am Aufeinanderprallen fast dogmatischer Sichtweisen auch in der Bürgerschaft. Bei dem Element „Handlungsspielräume“ sind sicherlich auch landes- und bundesrechtliche Fragestellungen zu lösen. Gleichwohl haben Kommunen auch hierbei Spielräume, die sie mehr nutzen müssen: Aktiver Gebrauch des kommunalen Vorkaufsrechts (wenn finanziell möglich), Nutzung des Erbbaurechts oder der Erbbaupacht zur Schaffung von Wohnraum, aktive Fördermittelakquise, kooperative Beteiligung und Civic-Public-Partnerships zur gemeinsamen Bewältigung von Aufgaben, Umsetzung und Nutzung genossenschaftlicher Modelle und vieles mehr.

 

4. Eine neue Herangehensweise: empathische und kooperative Standortentwicklung. Kommunen sind jene Orte, an denen sich unsere Gesellschaft zeigt – mit allem Positiven, allen Konflikten. Doch Bürgerveranstaltungen und Online-Fragebögen allein tragen nicht mehr. Es bedarf neuer, innovativer, am Dialog orientierter Beteiligungsansätze, um die Gesellschaft für „ihre“ jeweilige Kommune wieder zu begeistern. Dazu bedarf es bei der Beteiligung neuer Formate, klarer Regeln und mehr Handlungsmöglichkeiten für die Bürgerschaft. Gute Beispiele zeigen Städte wie Lohr am Main in Bayern, Leinfelden-Echterdingen in Baden-Württemberg und viele mehr. Hier erhalten Innenstadtakteure sowie Bürger die Möglichkeit, viel stärker als bisher die Zentrenentwicklung mitzugestalten – bei klaren Regeln aber auch mehr Entscheidungsfreiheiten, die vorab klar definiert und kommuniziert werden müssen, und mit einem Budget. Auch bei der Leerstandsproblematik greifen bisherige Ansätze (Online-Datenbanken zu Immobilien, Schaufensterplakate…) zu wenig. Einige Kommunen gehen dazu über, Motive von Eigentümern zu ergründen und kooperativ anzugehen. Bei Unsicherheit zur Marktlage und unklaren Erfolgsaussichten eines Gründerunternehmens steht die Kommune mit einer Ausfallbürgschaft parat. Dafür fordert sie aber auch mehr, beispielsweise den Verzicht auf stadtplanerisch nicht gewünschte Folgenutzungen. Wichtig dabei bleibt stets das Erwartungsmanagement (was ist das Ziel der Beteiligung – und was nicht) und zwar unter Berücksichtigung aller relevanter Akteursgruppen (Politik, Verwaltung und Bürger). Es empfiehlt sich, empathische Standortentwicklung nicht nur bei der Umsetzung von Projekten zu adressieren, sondern diese bereits bei der Strategieerstellung aktiv anzugehen. Das schafft Akzeptanz und Identifikation – und fördert nicht zuletzt die Bereitschaft, auch künftig aktiv bei der Stadt- und Innenstadtentwicklung mitzuwirken.

 

Blick auf Echterdingen, im Hintergrund der Stuttgarter Fernsehturm und die Wohnsiedlung Hannibal.

Blick auf Echterdingen: im Hintergrund der Stuttgarter Fernsehturm und die Wohnsiedlung Hannibal; in Leinfelden-Echterdingen werden die Bürger stärker in die Stadtplanung miteinbezogen. Das wirkt sich auf den innerstädtischen Erfolg aus.

 

Weitere Informationen:
www.imakomm-akademie.de/index.php/leistungen/leistung1

 

Kontakt:
imakomm AKADEMIE GmbH
Ulmer Straße 130 (Wi.Z)
73431 Aalen
Tel.: +49 7361 52829-0
info@imakomm-akademie.de
www.imakomm-akademie.de

 

Weitere Statements zum Thema von:
Sven Schulte, fachpolitischer Sprecher der IHK NRW und Referent für Handel und Stadtentwicklung
Hubert Aiwanger, stellvertr. Ministerpräsident u. Bayer. Staatsminister f. Wirtschaft, Landesentw. u. Energ.

Wir bedanken uns ganz herzlich dafür!

 

_________________________

 

Diskutieren Sie mit!

 

Wie lassen sich unsere Innenstädte wieder zu produktiven Orten umgestalten?
Wie können wir unsere Städte stärken?
Durch welche Lösungen können wir dort mehr Nachhaltigkeit erzielen?

Haben Sie selbst Erfahrungen in diesem Bereich?
Wir sind gespannt auf Ihre/Eure Statements!


... Kommunen & Bürger antworten

Redaktion KOMMUNALtopinform
Verlag und Medienhaus Harald Schlecht
Auf dem Schildrain 8
78532 Tuttlingen

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Web. www.kommunaltopinform.de/frag-doch-mal

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17. April 2024


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